— 192 — IV. Armenkrankenpflege. a) Die Tätigkeit der Stadtärzte. Die Zahl der Kranken iſt um 770 gewachſen; die Zahl der Konſultationen hat ſich um etwa 2 300, die der Beſuche um 57 vermehrt, die der Gutachten iſt um 271 geſtiegen. Unter den behandelten Krankheiten nehmen die Krankheiten der Reſpirations⸗ organe mit 851 Fällen die erſte Stelle ein; es folgen die Krankheiten der Verdauungs⸗ apparate mit 665 und die Krankheiten des Nervenſyſtems und der Sinnesorgane mit 622 Fällen. Unmittelbar hinter dieſen großen Gruppen verſchiedener Erkrankungen folgt die Tuberkuloſe mit nicht weniger als 563 Fällen (gegen 359 und 271 in den beiden letzten Jahren). Nahezu der zehnte Tei“ aller von den Stadtärzten behandelten Kranken iſt von ihr ergriffen geweſen. Die Steigerung gegen die Vorjahre iſt natürlich nicht auf ein jetzt häufigeres Vorkommen der Krankheit, ſondern darauf zurückzuführen, daß ihr von der Armen⸗Verwaltung erhöhte Aufmerkſamkeit gewidmet worden iſt, und infolge davon zahlreiche Lungenkranke der ärztlichen Behandlung zugeführt worden ſind. In einem Bericht wird hierauf ausdrücklich hingewieſen. In einzelnen Bezirken ſind ein Siebentel, ja ſogar ein Sechſtel aller überhaupt behandelten Kranken wegen Tuberkuloſe behandelt worden. Ein Bericht hebt hervor, daß namentlich tuberkulöſe Kinder in größerer Zahl mit erſt ganz im Beginn befindlichen Affektionen in die Behandlung gekommen ſind, ſo daß erfreulicher Weiſe wirkſam eingegriffen werden konnte. Ein anderer Berichterſtatter, der — wie übrigens faſt alle Berichte — die Beſſerung der ſcnitären Verhältniſſe betont, die er auf das nach ſeiner Beobachtung mehr und mehr wachſende Verſtändnis für die An⸗ forderungen der Hygiene zurückführt, glaubt — übereinſtimmend mit dem wiederholt in dieſen Blättern Erörterten — vielleicht einen ganz beſonderen erzieheriſchen Einfluß den Lungenheilſtätten zuſchreiben zu ſollen; die Lungenkranken werden in ihnen in ihrer Lebensweiſe discipliniert und lernen die Schädlichkeiten vermeiden, die ihnen und ihren Familien zum Verderben gereichen könnten. Epide miſche Erkrankungen ſind, wie aus faſt allen Bezirken berichtet wird, abgeſehen von einer im allgemeinen ohne ſchwere Erkrankungen oder Todesfälle verlaufenen Influenza⸗Epidemie nicht beobachtet worden. Sehr erfreulich iſt das in mehreren Berichten beſonders hervorgehobene Zurückgehen der Magendarm⸗Erkrankungen der Säuglinge. Die Zahl der behandelten Kinder iſt gegen das Vorjahr trotz der Bevölkerungszunahme um mehr als 16 vom Hundert geſunken; auch die Zahl der Todesfälle iſt außerordentlich niedrig geweſen. Das iſt um ſo freudiger zu begrüßen, als der Sommer des Jahres 1904 ganz beſonders heiß geweſen iſt, ſo daß eine erhöhte Säuglingsſterblichkeit befürchtet werden mußte. In mehreren Berichten wird das günſtige Ergebnis auf das beſſere Verſtändnis der Mütter, in einem Bericht auch auf die beſſer gewordene Milchverſorgung zurückgeführt. Die in dieſem Sommer ein⸗ gerichteten ſtädtiſchen Säuglingsfürſ orgeſtellen werden hoffentlich dazu beitragen, eine weitere Beſſerung der Verhältniſſe herbeizuführen. Übrigens iſt, wie dabei bemerkt ſei, auch die Säuglingsſterblichkeit unter den ſtädtiſchen Pfle gekindern im Jahre 1904 ſowohl an ſich als namentlich gegen 1903 niedrig geweſen: Von 168 im erſten Lebensjahr ſtehenden Kindern, die während des Berichtsjahres in ſtädtiſcher Pflege waren, ſind 23 d. h. 13,7 vom Hundert geſtorben, während im Vorjahre von 114 Kindern des erſten Lebensjahres, die ſich in ſtädtiſcher Pflege befanden, 24 d. h. 21,1 vom Hundert geſtorben waren. In faſt allen Berichten wird auch diesmal auf das Beſſerwerden der Wohnungs⸗ verhältniſſe hingewieſen. Die verhältnismäßig wenigen noch vorhandenen alten Häuſer aus früherer Zeit verſchwinden allmälig, und mit ihnen, wie dies ein Bericht im Hinblick auf die Niederlegung der ganzen einen Seite der Bismarck⸗Straße erwähnt, auch eine Anzahl hygieniſch nicht ganz einwandfreier Wohnungen. Auch bei einzelnen neuen Häuſern wird übrigens über feuchte und ſtockige Wohnungen berichtet, im allgemeinen aber werden die Wohnungsverhältniſſe durchweg günſtig beurteilt, wenn auch einzelne Wohnungen den An⸗ ſprüchen an Licht und Luft nicht genügten. Schmutz und Unrat in den Wohnungen, die vor einer Reihe von Jahren noch öfters beobachtet worden ſind, ſind, wie ein Bericht ſagt, jetzt ſeltene Ausnahmen: die meiſten Armen halten auch in beſchränkten Räumlichkeiten iemlich auf Ordnung und ausreichende Lüftung. Ein anderer Berichterſtatter, der gleichfalls das langſam zunehmende Verſtändnis für die geſundheitsfördernden Tatſachen hervorhebt, hat allerdings Wohnung und auch Ernährung teilweiſe noch recht ungünſtig gefunden. Auffällig iſt die in einem Berichte mitgeteilte Tatſache, daß ein Fünftel aller Krankheitsfälle eines Bezirks in 4 Häuſern einer Straße vorgekommen ſind, während auf ein dazwiſchen liegendes Haus von gleicher Größe, gleicher Bauart und gleicher Bevölkerung nur 6 Erkrankungen entfallen. Derſelbe Berichterſtater teilt mit, daß er von einer ein⸗ zigen, allerdings kinderreichen Familie nicht weniger als 124 Mal in der Sprechſtunde um ſeine Hilfe angegangen worden iſt.