— 298 — Zur Narkoſe wurde bei der Mehrzahl der Operationen das Chloroform benutzt, und zwar bei allen größeren Eingriffen in der Form eines Chlorof orm⸗Sauerſtoff⸗ gem iſches. Der hierbei zur Verwendung gebrachte Roth⸗Dräger ſche Apparat hat ſich in beſter Weiſe bewährt, indem er, abgeſehen von ſeiner leichten Handhabung, es ermöglichte, einerſeits die Menge des jedes Mal erforderlichen Chloroforms erheblich einzuſchränken, und andererſeits bei bedrohlichen Zwiſchenfällen dem Kranken durch Zuführung reinen Sauerſtoffs zu helfen. Allerdings gelang es auch durch dieſe Methode des Narkotiſierens nicht, die jeder Chloroformnarkoſe folgenden Störungen, Ubelkeit und Erbrechen, völlig zu verhüten, immerhin aber wurden ſie doch infolge des geringen Chloroformverbrauchs weſentlich ver⸗ mindert. Ließ eine Herzerkrankung die Anwendung des Chloroforms nicht angängig erſcheinen, ſo wurde zur Ather⸗Tropfnarkoſe gegriffen. In gewiſſen Fällen wurde auch von 0 örtlichen Anaeſtheſie Gebrauch gemacht, dagegen nicht von der Lumbal⸗ änaeſtheſie. Einen Todesfall während der Narkoſe hat die Abteilung nicht zu beklagen gehabt. Was nun die operativen Eingriffe ſelbſt betrifft, ſo iſt vor allen Dingen die a ußerordentliche Zunahme der wegen Blin ddarm entzündungen, d. h. wegen Ent⸗ zündungen und Verſchwärungen des Wurm fortſatzes vorgenommenen Operationen bemerkenswert. Von den oben angegebenen 202 Laparotomieen entfallen nämlich 117 Fälle t, dieſe heimtückiſche und in ihren gefährlichen Folgen noch viel zu wenig gewürdigte Krankheit. Die Operationsweiſe bei den Blinddarm⸗ und Wurmfortſatzen tzündungen weicht heute von dem früheren Verfahren ab. Während noch vor wenigen Jahren möglichſt im anfallsfreien Stadium operiert und im Anfall ſelbſt nur dann zur Operation geſchritten wurde, wenn Zeichen einer Eiterung oder einer fortſchreitenden Entzündung ſich einſtellten, haben im Charlottenburger Krankenhauſe die bei zahlreichen Operationen geſammelten Erfahrungen mehr und mehr zu frühzeitigem Eingreifen gedrängt. Heute gelingt es in⸗ folgedeſſen, manchen Kranken, der ſonſt unrettbar dem Tode verfallen wäre, durch eine ſchnell ausgeführte ſachkundige Operation am Leben zu erhalten. Oft ſtanden die kliniſchen Erſcheinungen zu Beginn der Erkrankung oder des akuten Anfalls in keinem Verhältnis zu dem bei der Operation erhobenen Befunde. Faſt aus⸗ nahmslos waren ſchwere Veränderungen am Wurmfortſatz vorhanden; und häufig wurde ſchon innerhalb der erſten 24 bis 48 Stunden eine teilweiſe oder völlige Gangrän, eine brandige Zerſtörung des Wurmfortſatzes vorgefunden, ohne daß beſonders hervortretende Anzeichen bei der Unterſuchung darauf hingewieſen hätten. Nicht ſelten auch zeigten Kranke, bei denen der leichte Beginn des Anfalles einen günſtigen Verlauf erhoffen ließ, dennoch plötzlich eine äußerſt bedrohliche Verſchlimmerung, ſodaß ſie nur durch ſchleunige Operation gerettet werden konnten. Nach ſolchen Erfahrungen muß für alle friſchen Fälle von ſicher erkannter Epity⸗ vhlitis, ſobald irgendwie ſchwerere Krankheitserſcheinungen vorliegen, die möglichſt frühzeitige Operation auf das dringendſte anempfohlen werden. Je eher nach dem Einſetzen des Krank⸗ heitsanfalles operiert wird, deſto größer ſind auch die Ausſichten auf eine baldige Wieder⸗ herſtellung. Denn die Gefahr der Operation iſt in dieſem Falle kaum größer, als im ent⸗ zündungsfreien Stadium. So lehren es die im Berichtsjahre frühzeit ig während des Anfalles aus⸗ geführten Operationen. Dieſe 26 Fälle, bei denen 3mal ein Empyem des Wurmfort⸗ ſatzes, 8S mal eine Gangrän ohne Erſudat oder Abkapſelung und 8 mal eine Gangrän mit lokalem ſeröſem Exſudat gefunden wurde, haben ausnahmslos zur Heilung geführt Hatte dagegen die Entzündung ſchon in ſchwerer Weiſe auf die Umgebung des Wurm⸗ fortſatzes übergegriffen, ſo war der Verlauf ungünſtiger. Drei Kranke, bei denen die Verſchwärung des Wurmfortſatzes zu einer Eiterung im retroperitonealen Zellgewebe oder zum Durchbruch in das Meſenterium des Darmes geführt hatte, konnten nicht mehr gerettet werden. Beſſere Reſultate waren dort zu verzeichnen, wo es infolge einer Perforation des Wurmfortſatzes zu einer lokalen Eiterung in der Bauchhöhle gekommen war. Von den 34 hierher gehörigen Fällen wurden 31 geheilt. Die Operation war aber hier faſt durchweg von einem langen Krankenlager gefolgt. Von den 3 Geſtorbenen gingen 2 an 11 . 4t. 1 an einer Lungenembolie zu Grunde. Die Operation war in dieſen Fällen zumeiſt mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden; dennoch konnte der Krantheitsherd, der kranke Wurm⸗ fortſatz, in 30 Fällen ſofort entfernt werden. Wie hier ausdrücklich bemerkt werden mag, wurte es ſtets verſucht, auch bei abgekapſelten Abſceſſen, den Wurmfortſatz zu erſtirpieren, und zwar ohne hierbei vor einer Eröffnung der freien Bauchhöhle ee. Bei ſorgfältigem Operieren, insbeſondere bei ausgiebigem Abſchützen der Bauchhöhle mit Mull⸗ tampons, wie es im Charlottenburger Krankenhauſe geſchieht, iſt ein Schaden nie entſtanden, während andererſeits dem Kranken ein erheblicher Vorteil gebracht wurde. In jenen traurigen Erkrankungsfällen, in denen zur Zeit der Operation bereits eine allgemeine eitrige Bauchfellentzündung beſtand, war, wie überall, auch in Charlotten⸗ burg die Sterblichkeit eine hohe. Von 28 operierten Kranken ſtarben 19. Oft war freilich der Eingriff von vornherein ausſichtslos erſchienen und nur als letztes Mittel noch verſucht worden. Dieſe ſchwerſte Form der Erkrankung mit ihrer plötzlich hereinbrechenden, das Leben im höchſten Maße bedrohenden Gefahr wird nur ſeltener werden, wenn die Frühoperation allgemein in Aufnahme gekommen ſein wird.