— 346 — Kranken gemacht, welche ausgeſprochene krankhafte Veränderungen infolge von Alkohol⸗ mißbrauch aufweiſen. In dieſem Berichtsjahre ergab ſich bei den Männern der beiden großen Pavillons, daß: von 1303 Männern 271 — 20 % Alkoholiker waren, berückſichtigt man aber das Alter der Kranken, ſo ergibt ſich, daß von 597 Männern unter 30 Jahren 30 — 5 % „ 706 10 über 30 , 241 — 34 % Alkoholiker waren, d. h. daß von den erwachſenen Perſonen männlichen Geſchlechts jeder dritte Mann an ausgeſprochenen krankhaften Veränderungen infolge von Alkoholmißbrauch litt. Ein näheres Eingehen auf dieſe wichtigen Verhältniſſe, beſonders auf die Beein⸗ fluſſung der verſchiedenen Organerkrankungen durch den konſtitutionellen Alkoholismus iſt an dieſer Stelle nicht möglich, nur in Kürze ſei folgendes erwähnt. Allgemein bekannt und auch bei unſern Patienten immer wieder zu beobachten iſt die ungünſtige Beeinfluſſung hoch fieberhafter Erkrankungen durch den Alko⸗ holismus. Beſonders bei den akuten Entzündungen z. B. der Lungenentzündung iſt der tötliche Ausgang bei den Männern in der Mehrzahl der Fälle auf die ſchweren Veränderungen des Herzens oder der Lunge ſelbſt oder die allgemeine Herabſetzung der Widerſtandsfähigkeit infolge des Alkoholismus zurückzuführen. Ebenſo verlaufen die akuten Infektionskrankheiten bei den Alkoholikern durch⸗ weg ungünſtiger. Von den Veränderungen der Organe ſelbſt ſei hier nur erwähnt, daß außer den bekannten Krankheitserſcheinungen am Herzen, der Leber, den Lungen, an Magen, Nieren ꝛc. beſonders häufig Erkrankungen des Nervenſyſtems zur Beobachtung kommen und von dieſen wieder beſonders häufig die vielfachen Entzündungen der peripheriſchen Nerven (Polyneuritis alkoholica). Dieſe ſchmerzhaften, von den Kranken ſelbſt zu⸗ meiſt fälſchlich als „rheumatiſch“ bezeichneten Entzündungen werden anſcheinend vorzugs⸗ weiſe durch den Schnapsgenuß hervorgerufen, z. T. wohl bedingt durch die hohe Konzen⸗ tration des Alkohols, z. T. durch die Minderwertigkeit des Alkohols und z. T. auch durch die giftigen Beimiſchungen, die ſich in den Schnäpſen zur Erhöhung des Geſchmacksreizes finden. Bei reinen Biertrinkern finden ſich dieſe Folgen des Alkoholismus faſt garnicht, wogegen bei dieſen die Erkrankungen des Herzens und der Nieren beſonders häufig ſind. (Dieſe Verhältniſſe ſind unter meiner Leimung in einer Diſſertation von Dr. Lindl⸗ Berlin 1904 näher beſchrieben). Die Behandlung dieſer großen Menge von Alkoholikern richtet ſich naturgemäß in erſter Linie gegen die akuten Gefahren, welche durch den Ausbruch des Delirium tremens einerſeits und das Verſagen der Herztätigkeit andererſeits drohen. Indes bieten dieſe Indikationen, bei welchen langdauernde warme Bäder und reichliche Mengen Chloralhydrat gegen den Ausbruch des Delirium mit beſtem Erfolge zur Anwendung kommen, nicht die Hauptſchwierigkeit. Es muß ſich vielmehr darum handeln, durch vollſtändige Entziehung der alkoholiſchen Getränke die Geneſung des erkrankten Körpers, ſoweit dies noch möglich iſt, herbeizuführen und dabei den Kranken praktiſch zu demonſtrieren, daß ſie ohne jeden Alkohol ſich erheblich wohler fühlen, als vorher. Zu dieſem Zwecke habe ich ſeit Jahren die alkoholiſchen Getränke aus der D iät⸗ Ve rordnung gänzlich geſtrichen, da es ganz undurchführbar iſt, dem Einen z. B. Bier zu geben und es dem andern völlig zu entziehen. Lediglich für gewiſſe Schwerkranke mit bedrohlichen Zeichen von Herzſchwäche wird etwas Alkohol in Anwendung gebracht. Statt der alkoholiſchen Getränke werden den Kranken durchweg ſchmackhafte Limonaden als erfriſchende Getränke gegeben, ferner Milch, Buttermilch oder auf Wunſch Suppen. Durch dieſe ganz allgemein durchgeführte Maßregel wird jeder Zwiſt über die Getränke von vornherein ausgeſchloſſen und es iſt geradezu erſtaunlich zu ſehen, wie ſelbſt ſchwerſte Säufer, die eingeſtandenermaßen für 2—3 ℳs Schnaps täglich ge⸗ nießen oder, was bei den Angehörigen des Brau⸗ und Schankge werbes nicht ſelten iſt, 30—40 Glas Bier täg lich trinken, wie dieſe Leute vom erſten Tage ihres Krankenhausaufenthaltes an mit vollem Genuſſe unſere harmloſen Getränke zu ſich nehmen! Noch nicht ein einziges Mal habe ich eine Beſchwerde über dies Regime gehört! Die Hauptſache iſt ſelbſtverſtändlich, daß mit keinem Kranken eine Aus⸗ nahme gemacht wird. Durch dieſe Behandlung kommen nicht wenige der Alkoholiſten von ſelbſt zu der Uberzeugung, daß es auch ohne den Schnaps geht und durch eine ruhige ärztliche Belehrung, beſonders den Hinweis auf die ſchweren Folgen, welche die Kranken täglich von Neuem an Andern ſehen, gelingt es ziemlich häufig, ſie zu einer Anderung der Lebensweiſe, manche auch zum Beitritt in eine Abſtinenz⸗Geſellſchaft zu bewegen. Daß dies der Fall iſt, ſehen wir verhältnismäßig oft, da die Patienten ja bei Neuerkrankungen immer wieder in dasſelbe Krankenhaus kommen.