Einen ſolchen idylliſchen Platz in der Nähe der Hauptſtadt ſuchte einſt zur Anlage eines Sommerſchlößchens Sophie Charlotte, Brandenburgs letzte Kurfürſtin, und ſie fand ihn hier zwiſchen der Spree und dem Lietzenſee und den bewaldeten Hügeln von Weſtend. Ganz in ſeiner Nähe, und nur zwei Mñʃinuten öſtlich von dieſem unſerem Rathauſe, lag ein damals wohl ſchon 400 Jahre altes Dörſchen, die Lütze; der Name iſt wendiſchen Urſprungs und bedeutet „Moraſt“; einer Furt der ſich dort einſt gabelnden Spree dankte es wohl ſeine Entſtehung. Auf das Geheiß der Kurfürſtin begannen im Jahre 1694 einige Kom⸗ pagnien Soldaten den Wald zu roden und die Moräſte trocken zu legen, und unter Benützung von Plänen des franzöſiſchen Gartenkünſtlers Le Notre, welcher den vielbewunderten Tuileriengarten angelegt hatte, ſchuf ſie ſich einen Luſtgarten mit See und Kanälen und breiten Alleen, einen Garten, der ihr und ihres Ge⸗ mahls ganzer Stolz war. Vor demſelben erſtand ein freundliches, aber beſcheidenes Schlößchen, die Lützenburg. Noch war der Bau nicht ganz vollendet, da fand ihn Sophie Charlotte, deren Haupt inzwiſchen mit der Königskrone geſchmückt worden war, zu klein, und unter Eoſanders Hand erwuchs aus demſelben ein ſtattliches Königsſchloß mit ſtolzem Kuppelbau. Allmählich reifte in ihr auch der Plan, nach dem Vorbilde ihrer beiden Vorgängerinnen auf dem Throne eine neue Stadt neben dem Schloſſe ſenter en und angelockt durch mancherlei Vorrechte fanden ſich bald einige An⸗ iedler ein. Entrückt dem Geräuſche der Hauptſtadt und nicht ſo beengt durch die ſteife und kalte Hofetikette, fühlte ſie ſich hier wohl und geſtaltete ſich das Leben nach ihren Neigungen. Ebenſo geiſtreich wie fein gebildet ſammelte ſie einen Kreis gleichgeſtimmter Seelen um ſich; da wurde gedichtet und Theater geſpielt, mufiziert und allerlei Kurzweil getrieben; Geiſt und Witz belebte die Feſte. Immer war die Königin, eine majeſtätiſche Erſcheinung von großer Schönheit und be⸗ ſtrickender Liebenswürdigkeit, der geiſtige Mittelpunkt der Geſelligkeit; ſie dichtete und komponierte ſelbſt, am meiſten aber behagte ihr ein ernſtes Geſpräch mit hochgebildeten Männern der Wiſſenſchaft. Die höchſten Probleme der Philoſophie, Politik und Religion wurden dabei erörtert. Der große Leibniz, auch einer von der Lützenburger Tafelrunde, charakteriſterte ihre Wißbegierde einmal mit den Worten, ſie begnüge ſich nicht mit dem Warum der Dinge, ſondern begehre auch noch das Warum des Warum zu wiſſen. Zum erſten Male fühlten ſich die Muſen in unſerer Mark heimiſch, ein günſtiges Omen für die erſtehende Stadt. Aber lange noch bevor ihr Lieblingsſchloß und die erſten Straßen fertig⸗ geſtellt waren, ſank Sophie Charlotte in der Blüte ihrer Jahre ins Grab. Pietät⸗ voll führte ihr Gemahl die Gründung der Stadt im Sinne der Dahingeſchiedenen fort, und um ſie würdig zu ehren, befahl er, daß dieſelbe fortan den Namen Charlottenburg führen ſollte. Das geſchah nach den Forſchungen Dr. Gundlachs, welcher im Auftrage des Magiſtrats zu dieſem Jubiläum eine neue Geſchichte von Charlottenburg verfaßt hat, am 1. April 1705. Dieſer Tag iſt alſo der Ge⸗ burtstag unſerer Jubilarin. Bald darauf erging der Befehl an die Lehnskanzlei, die Stadtrechts⸗ urkunde für Charlottenburg auszuſtellen Aber obwohl der Befehl vom Könige nach einigen Jahren noch einmal wiederholt wurde, blieb derſelbe bis auf den heutigen Tag unausgeführt. Die charaktervolle Perſönlichkeit von Preußens erſter Königin iſt alſo der Heros Eponymos unſerer Stadt. Wird die Stätte, von der geiſtvollen und freidenkenden Fürſtin beſtimmt zu einem Sitz für Kunſt und Wiſſenſchaft und für verfeinerten Lebensgenuß, auch dieſer Beſtimmung treu bleiben, auch halten, was ſie verſprach, ſo lange die Augen der hehren Fürſtin erſtrahlten? Die dankbare Stadt hat das Andenken Sophie Charlottens treu bewahrt: ihr Bild ſchmückt den Sitzungsſaal des Magiſtrats, eine Straße und ein großer Platz tragen ihren Namen, und vom heutigen Tage an wird auch die erſte ſtädtiſche höhere Mädchenſchule die Ehre haben, Sophie Charlottenſchule zu heißen. Friedrich I. iſt immer ein warmer Freund und eifriger Förderer der Stadt geblieben. In der ausgeſprochenen Abſicht, „aus Charlottenburg (zum ewigen Andenken an die Hochſelige Königin) einen unvergleichlich ſchönen Ort zu machen“, erweiterte er den ſtattlichen Mittelbau des Schloſſes durch die Orangerie und ſchlug die erſte Brücke über die Spree. Eine von Pferden ge⸗ zogene holländiſche Treckſchute ſtellte eine regelmäßige Schiffsverbindung mit Berlin her, ſogar eine kleine Flotte mit vielen Geſchützen belebte die Spree und den Schloßteich. Und ſtaunend ſahen die Berliner, wie die neue Straße durch den Tiergarten allabendlich im Glanze von mehr als 600 Laternen erſtrahlte. Es war daher kein Wunder, daß ſich die Stadt raſch entwickelte. Schon 1711 wurden bei der erſten Ableiſtung des Bürgereides 88 Hausbeſitzer gezählt, unter ihnen freilich auch Glücksritter aller Art, unſtetes Volk, welches anderwärts