— 29. — ſtarb der König, und der ganze wunderliche Plan fiel in ſich zuſammen. Die Eriſtenz der Stadt iſt nie wieder in Frage geſtellt worden. 5 Die Bürger hatten in ſchwerer Zeit allmählich gelernt, auf eigenen Füßen zu ſtehen. Charlottenburgs Kindheit war damit abgeſchloſſen. Die ſchönen Tage Sophie Charlottens kehrten unter ihrem geiſtesverwandten Enkel Friedrich II. zurück; er verlegte ſogleich ſeine Reſidenz in „ſein teures Charlottenburg“ und gedachte in dem „entzückenden Ruheſitz“ einen großen Teil ſeiner Zeit zuzubringen. Von ihm wurde der geräumige Oſtflügel des Schloſſes aufgeführt, und lohnender Gewinn ſtrömte in die Taſche der Bürger. So blieb es bis ſich der König ſein Sansſouci erbaute und dorthin überſiedelte. Schwere Tage kamen im ſiebenjährigen Kriege, als die Oſterreicher, Ruſſen und Sachſen der Stadt einen Beſuch abſtatteten. Ging auch die Gefahr ſchon nach vier Tagen vorüber, ſo genügte doch die kurze Spanne Zeit, das Schloß mit Friedrichs reichen Kunſtſchätzen ſchmählich zu verwüſten. Vergebens hatten ſich die Bürger bemüht, durch eine ſchwere Kontribution Plünderung und Schande abzuwenden; ſelbſt Mordtaten verübten die barbariſchen Gäſte. Wie ſehr ſich auch der ſorgende Landesvater nach dem Kriege bemühte, durch induſtrielle Unter⸗ nehmungen den Wohlſtand der Stadt zu heben, es wollte ihm nicht recht gelingen. Nach ſeinem Tode iſt Charlottenburg bis auf Friedrich Wilhelm IV. be⸗ ſtändig die bevorzugte Sommerreſidenz der preußiſchen Könige geweſen, von allen wurden ihr zahlreiche Beweiſe ihrer Huld zuteil. Am Schlu ſſe des erſten Jahrhunderts Charlottenburger Geſchichte waren Handel und Gewerbe in langſamer Aufnahme begriffen und die Zahl der Einwohner auf 4000 geſtiegen. Zwar war allmählich mehr Stetigkeit in die Bürgerſchaft gekommen, jetzt pflügte jeder den von den Vorfahren ererbten Boden, und an demſelben Webſtuhl, an dem der Vater ſeine Tage verbracht hatte, arbeitete emſig der Sohn, aber gewohnt, durch Klagen und Bitten in ſchwieriger Lage die Unterſtützung der wohlmeinenden Schloßherrſchaft zu gewinnen, hatten ſie kein Vertrauen auf die eigene Kraft, auch Spuren von bürgerlichem Selbſt⸗ be wußtſein ſucht man vergebens in den Annalen der Stadt — oder ſoll ich etwa hier anführen, daß ihnen in den letzten Jahren des großen Königs endlich zum Bewußtſein kam es entſpreche nicht der Würde der preußiſchen Bürger, bei den Hofjagden als Treiber aufgeboten zu werden. Man berichtet, der alternde König ſoll einmal im Unmut ausgerufen haben, er ſei es müde, über Sklaven zu herrſchen. Wenn dem ſo iſt, hat er dann vielleicht aus dieſer erſten ſchwachen Rötung des Horizontes einen künftigen Sonnenaufgang bürgerlichen Selbſtbewußt⸗ ſeins und Freiheitsdrangs geahnt? Jedenfalls wurde die Beſchwerde der Bürger ſogleich abgeſtellt. Auch Gemeinſinn war noch unbekannt; jedermannn ſorgte nur für ſich und ſeine Familie. „Nirgend iſt der vereinte Bürgerſinn weniger heimiſch als in Charlottenburg“, urteilte einſt der Pfarrer Dreſſel, und Dreſſel kannte ſeine Pfarrkinder. Wer wird erwarten, daß ſolche Bürger ſich zu größeren Unter⸗ nehmungen aufraffen oder in der Stunde der Gefahr zu ſelbſtändigem Handeln und kühner Tat entſchloſſen ſind. Als 1760 die Oſterreicher und Ruſſen an⸗ gezogen, flüchtete ſich der Bürgermeiſter mit Weib und Kind und ſeinen beſten Habſeligkeiten nach Hamburg, nicht einmal die ſtäd tiſchen Gelder hatte er vorher in Sicherheit gebracht. In gleicher Kopfloſigkeit ließ der Geiſt⸗ liche bei ſeiner Flucht das Kirchenſilber am gewohnten Platz zurück; es war ja von niemandem etwas anderes befohlen worden. Als die Franzoſen 1806 einrückten, wurde die Loſung: „Ruhe iſt die erſte Bürgerpflicht“ hier ebenſo prompt befolgt wie in Berlin; ja am Napoleonstage 1807 ſtimmte ſogar der erſte Geiſtliche ſelbſt das Tedeum für den fran zöſiſchen Kaiſer in unſerer Luiſenkirche an. Er war auch nicht wenig ſtolz darauf, ſich vom Marſchall Victor, der auf der Höhe von Weſtend ein großes Feldlager auf⸗ geſchlagen hatte, zur Tafel gezogen und ſeine Tochter von franzöſiſchen Offizieren ausgezeichnet zu ſehen. Als Charlottenburg in der Perſon ſeines geiſtigen Führers dieſen tiefen Fall tat, wurde von dem neuen Miniſterium Stein ſchon eifrig an einem Geſetz⸗ entwurf gearbeitet, der nachhaltigere Einwirkung auf das ganze Denken, Tun und Treiben der Bürgerſchaft ausüben ſollte als alle bisherigen Erlaſſe an der Städte ordnung. Sie trug weſentlich dazu bei, aus unterwürfigen Dienern und läſtigen Bittſtellern allmählich Bürger zu bilden, Bürger, die aus eigener Kraft vorwärts kommen und vereint höheren Zielen nachſtreben wollten. Die durch die Städteordnung ins Leben gerufene Selbſtverwaltung erwies ſich für viele unſerer Bürger damals wie heute als ausgezeichnete Erzieherin. Wie viele wurden durch ſie aus den engen Verhältniſſen ihres Hauſes und Berufs emporgehoben und zu höherer Bildung und Geſittung geführt. Sie ſchärfte den Sinn für Ehre, Recht und Manneswürde, und indem ſie die Bürger lehrte, unter großen Opfern an Zeit und Geld für ihr Gemeinweſen zu ſorgen, machte ſie dieſelben auch fähig, für das große preußiſche und deutſche Vaterland, für Freiheit und Menſchen⸗