wenn auch die groß angelegte Villenkolonie Weſtend in ihrer Entwickelung bald gehemmt wurde, ſo nahm die Bevölkerungszahl und die Steuerkraft der Stadt doch in raſcherem Tempo zu, und als im Jahre 1876 die Zahl von 26 000 er⸗ reicht war, gelang es mit nur mäßigen Opfern aus dem Kreiſe Teltow aus⸗ zuſcheiden. Charlottenburg wurde ein ſelbſtändiger Stadtkreis und dadurch un⸗ abhängiger in ſeinen Entſchließungen. Ein großes Glück für die Stadt war es, daß es ihr gerade in der Zeit, als ſich überall neue Kräfte regten und nach Geſtaltung rangen, gelang, einen ausgezeichneten Mann an die Spitze der Verwaltung zu ſtellen; es iſt das un⸗ vergängliche Verdienſt des Oberbürgermeiſters Fritſche und ſeiner Mitarbeiter, mit vorausſchauendem Blick die Bedürfniſſe der Zeit erkannt und demgemäß mit Umſicht und Energie ſeine Maßnahmen getroffen zu haben. Des trefflichen Mannes am heutigen Tage mit Verehrung und inniger Dankbarkeit zu gedenken, iſt mir eine ebenſo angenehme, wie unabweisliche Pflicht. Beim Regierungsantritt Kaiſer Wilhelms I. zählte Charlottenburg 12 000 Einwohner. Schon 1893 wurde das erſte 100 000 erreicht, und nur 10 weitere Jahre waren nötig, bis auch das zweite überſchritten war. Innerhalb der letzten 45 Jahre hat ſich alſo die Bevölkernngszahl verzwanzigfacht, ein Fall ohne Beiſpiel unter den deutſchen Städten. Und — was noch erſtaunlicher iſt — die Steuerkraft der Stadt hob ſich in noch ſtärkerem Maße. Das Durchſchnittsein⸗ kommen des einzelnen Steuerzahlers iſt ſtetig geſtiegen, es beträgt zurzeit über 4000 ℳ und iſt ſeit 3 Jahren höher als in jeder anderen Stadt der Monarchie. Charlottenburg wäre darum wohl reich zu nennen, hätten die ſtädtiſchen Körper⸗ ſchaften nicht im vorigen Jahrhundert in unbegreiflicher Verblendung den anſehnlichen ſtädtiſchen Grundbeſitz bis auf ſpärliche Reſte verkauft. Ich möchte daher die Stadt lieber mit einem hohen Beamten mit großem Einkommen aber geringem Vermögen vergleichen. Wie erklärt ſich wohl ein ſo rapides Wachstum? Wurde Charlottenburg etwa ein Brennpunkt für Handel und Induſtrie? Wohl ſteigerte ſich der rachtverkehr auf der Spree und den Kanälen wie auf den die Stadt berührenden rnbahnen erfreulich, und es hob ſich der Handel, allein ſo große Wirkungen ſind dem nicht zuzuſchreiben. Wohl ſind auch eine Anzahl großer Fabriken ent⸗ ſtanden, insbeſondere chemiſche und Maſchinenfabriken; für den großartigen Auf⸗ ſchwung ſind aber auch ſie nicht von ausſchlaggebender Bedeutung. Es war vielmehr die günſtige Lage und die Anpaſſung an die Bedürfniſſe der Zeit. Das nach der Aufrichtung des neuen Reiches mächtig emporblühende Berlin dehnte ſich raſch nach Weſten aus, und bald war das noch freie Gelände mit neuen ſchönen Straßenzügen voll bedeckt. Schon in den achtziger Jahren ſtreckte die Hauptſtadt ihre Rieſenarme zu beiden Seiten des Tiergartens aus, und für die kleine Nachbarin bot ſich Gelegenheit an dem wunderbaren Auf⸗ ſchwung teilzunehmen. Faſt zur ſelben Zeit ſchuf das Bedürfnis, dem geſteigerten Verkehr der Großſtadt neue Wege zu eröffnen, das geniale Werk der Stadt⸗ bahn. Wie mit einem Zauberſchlage war dadurch der ganze Süden unſeres Gemeindegebietes erſchloſſen; jeder der vier Charlottenburger Bahnhöfe wurde für unſere Stadt ein Verkehrsmittelpunkt, um den ſich eine zweckmäßige Be⸗ bauung kriſtalliſieren konnte. Ein dritter Faktor war die geſunde Lage der Stadt in der Nähe weiter Waldgebiete und des Tiergartens. Der vorherrſchende Weſt weht ihr von dem Grunewald wie von der neuerdings uns geſicherten Jungfernheide her friſche, ozonreiche Luft zu. Weſtend zumal, der einzige hoch⸗ gelegene Villenvorort in der Umgegend Berlins und in unmittelbarſter Nähe des Waldes, nimmt in geſundheitlicher Beziehung eine äußerſt bevorzugte Stelle ein. Man wird der Stadtverwaltung das Zeugnis nicht verſagen können, daß ſie ſich nicht ohne Erfolg bemüht hat, ſolche Gunſt der Verhältniſſe auszunützen. Zunächſt galt es, darüber zu wachen, daß nicht noch weitere Stücke des Ge⸗ meindegebietes abgetrennt würden. Die Gefahr war umſo größer, als unter den Bewohnern des vornehmer Bebauung ſich erſchließenden und daher ſtreuer⸗ kräftigen Oſtbe zirks ſelbſt eine lebhafte Bewegung dafür im Gange war. Der Bezirk wurde daher durch anſehnliche Plätze und breite ſchöne Straßen ſowie durch Bildungs⸗ und Wohlfahrtsanſtalten ſo freigebig ausgeſtattet, daß Mieter wie Vermieter ſich in Charlottenburg wohl und ſicher fühlten. Der Ruf nach Eingemeindung in Berlin verſtummte bald, und die Führer wurden im Stadtparlament und Magiſtrat eifrige Mitarbeiter. Die gleiche vornehme Bebauung ſchob ſich raſch weiter nach Weſten vor, dem freien Felde, dem Walde entgegen. Stolz und Freude erfüllt uns heute, wenn wir von der Kaiſer Wilhelm⸗Gedächtniskirche oder vom Knie aus unſer Auge nach den prächtigen Straßen ringsum mit dem erquickenden Grün ſchweifen laſſen. Doch cuch den übrigen Stadtteilen wurde mannigfache Förderung zu teil. Seitdem Tiefbrunnen die Stadt mit gutem rinkwaſſer verſorgen und durch ſorgfältige Reinigurg und Beſprengung der Straßen den hygieniſchen