— 264. — Der Vermehrung der Zahl der Pflegekinder iſt ſchon gedacht. In 233 Fällen war der Grund der Inpflegnahme der Tod des Vaters, der Mutter oder beider Eltern, in 54 Fällen böswillige Verlaſſung, in 420 Fällen das Unvermögen der unehelichen Mutter zur Ernährung des Kindes; der Reſt verteilt ſich auf die verſchiedenſten Urſachen. Soweit ſchlechte Erziehung, Mißhandlung, Trunkſucht und Unſittlichkeit (zuſammen 31 mal) in Frage kamen, dürfte die Urſache der Zunahme, wie wir ſchon früher betont, darin zu ſuchen ſein, daß das Geſetz über die Fürſorgeerziehung die Aufmerkſamkeit auf Verhältniſſe gelenkt hat, die früher zum Teil überſehen wurden, jetzt aber ein Eingreifen geboten erſcheinen ließen, ohne daß doch die Vorausſetzungen für die Fürſorgeerziehung gegeben waren. Auch die Aufſichtführung über die Haltekinder durch die Organe der Waiſenpflege erklärt zu einem Teil die Zunahme der Zahl der ſtädtiſchen Pflegelinder: iſt eine Halteſtelle völlig unzureichend, oder wird das Pflegegeld dauernd nicht gezahlt, ſo bleibt oft nichts übrig, als das Kind in ſtädtiſche Pflege zu nehmen, wie das 1905 27 mal geſchehen iſt. Auch die im Jahre 1905 zur Verminderung der Säuglingsſterblichke it in Charlottenburg errichteten vier Säuglingsfürſorgeſtellen dürften nicht ohne Einfluß namentlich auf die große Vermehrung der unehelichen Pflegekinder geweſen ſein, da durch ſie die Aufmerkſamkeit auf ſchlechte häusliche Verhältniſſe gerichtet worden iſt. Soweit die ſtädtiſche Pflege nur vorübergehend einzutreten brauchte, ſind auch die oben geſchilderten Wohnungsverhältniſſe auch 1905 ſicher nicht ohne Einfluß geweſen. Erfreulicherweiſe ſtehen den Ausgaben hier in nicht unerheblichem Umfang Erſtattungen durch Väter und Mütter gegenüber. Für die hier ortsange⸗ hörigen Kinder werden nach einem Beſchluß der ſtädtiſchen Körperſchaften die Beiträge, die von dritter Seite für ſie gezahlt wurden, bis zum Betrage von 300 ℳ für jedes Kind zinsbar angelegt., um ſpäter zum Beſten der Kinder Verwendung zu finden. Von den dei Schluß des Jahres 1904 für ſtädtiſche Pflegekinder vorhanden geweſenen 98 Sparkaſſen⸗ büchern mit einem Geſamtbetrage von 7128,50 ℳ ſind im Jahre 1905 15 Bücher im Ge⸗ ſamtbetrage von 1030,83 ℳ wegen vorzeitigen Ausſcheidens aus der Koſtpflege wieder auf⸗ gelöſt werden. Für 48 Kinder ſind 1905 weitere Beiträge von zuſammen 2308,11 ℳ auf die vorhandenen Sparkaſſenbücher geleiſtet, und für 37 Kinder neue Sparkaſſenbücher mit zuſammen 1818,09 angelegt worden, ſodaß Ende 1905 120 Sparkaſſenbücher mit einem Geſamtbetrage — einſchließlich der aufgelaufenen Zinſen — von 103 77,12 ℳ vorhanden waren. Die Säuglingsfürſorgeſtellen, denen auch alle ſtädtiſchen Pflegekinder und alle Haltekinder unter einem Jahre zugewieſen worden ſind, ſind ſchon erwähnt. Hervorzuheben iſt in der gleichen Richtung ferner die am 1. April 1905 erfolgte Einrichtung eines Säuglings⸗ und Mütterheims in Verbindung mit der Entbindungsſtation des ſtädtiſchen Kranken⸗ hauſes Kirch⸗Straße; in ihm finden die von der Waiſenverwaltung vorübergehend unterzu⸗ bringenden Kinder unter einem Jahre, ferner Schwangere ſchon einige Zeit vor der Ent⸗ bindung, und die in der Anſtalt Entbundenen mit ihren Kindern bis zur Dauer von drei Monaten nach der Entbindung unentgeltlich Aufnahme. Inwieweit dieſe Einrichtungen, ins⸗ beſondere die Säuglingsfürſorgeſtellen, auf die Säuglingsſterblichkeit der ſtädtiſchen Pflege⸗ kinder und der Haltekinder von Einfluß geweſen ſind, iſt ſchwer zu ſagen. Tatſache iſt je⸗ doch, daß die Säuglingsſterblichkeit bei beiden Kategorien gegen das Vorjahr nicht uner⸗ heblich zurückgegangen iſt. Von 111 im Laufe des Jahres 1905 in ſtädtiſcher Pflege befindlich geweſenen Kindern unter einem Jahre ſind 17 (1904 23 von 106) geſtorben, von 256 Haltekindern unter einem Jahre nur 14 (1904 22 von 238). Die noch immer höhere Sterblichkeit der ſtädtiſchen Pflegekinder erklärt ſich aus dem ſchlechten Zuſtande, in dem ſie, häufig überall herumgeſtoßen, ſchließlich in ſtädtiſche Pflege kommen. Eine Beſſerung wird hierin, und wie zu hoffen, eine weitere Beſferung überhaupt durch die am 1. Oktober 1906 in Kraft getretene Berufsvormundſchaft für alle unehelichen Kinder eintreten Die Geſamtſterblichkeit iſt ſowohl bei den ſtädtiſchen Pflegekindern wie bei den Haltekindern gering geweſen; einſchließlich der Kinder unter 1 Jahr ſind 26 von 822 Pflegekindern (ohne ſie 9 von 711) und 19 von 459 Haltekindern (ohne ſie 5 von 203) geſtorven. Sowohl im ganzen als namentlich nach dem 1. Lebensjahre, iſt alſo die Sterblichkeit der ſtädtiſchen Pflegekinder, umgekehrt wie bei den Säuglingen, weſentlich geringer als die der Haltekinder. Die Urſache liegt in der Hauptſache darin, daß als Haltekinder nur Kinder bis zu 6 Jahren beaufſichtigt werden, die Stervlichkeit der Pflegekinder aber bei der höheren Altersſtufe ſehr gering — 2 von 392 — geweſen iſt. Der Pflegſchaft des ſtädtiſchen Freiwilligen Erziehungsbeirats find bis zur Schulentlaſſung Michaelis 1905 insgeſamt 676 Waiſen im weiteſten Sinne unterſtellt worden, von denen ſich rund 400 Ende 1905 noch in Pflegſchaft befanden. 85 Pfleglingen ſind im Jahre 1905 Beihilfen im Geſamtbetrage von 6005,2 ℳ gewährt worden. Im Winter 1905 haben wieder Unterhaltungsabende für die Pfleglinge ſtattgefunden, bei denen ſie aus Mitteln einer Schenkung mit Tee und Butterbrot bewirtet werden konnten.