— 420 — Auffällig zahlreich waren in dieſem Jahre die Erkrankungen an Genickſt arre, welche um ſo größere Bedeutung beanſpruchten, als in dieſem Jahre bis weit in den Sommer 1905 hinein die ebenſo umfangreiche wie bösartige Epidemie in Oberſchleſien herrſchte. Die Diagnoſe unſerer Krankheitsfälle wurde, abgeſehen von den ſonſtigen kliniſchen Methoden, vor allem durch die mikroſkopiſche und bakteriologiſche Unterſuchung der aus dem Wirbelkanal durch Punktion entleerten Flüſſigkeit geſtellt. Es ſtellte ſich hierbei als geradezu geſetzmäßig heraus, daß eine an kleinen Lymphzellen reiche Flüſſigkeit mit größter Wahr⸗ ſcheinlichkeit auf eine tuberkulöſe Hirnhautentzündung hinweiſt, während ein ſtarkes IIberwiegen der gewöhnlichen Eiterzellen auf anderweitige Entſtehung deutet. Auf Grund der bakteriologiſchen Unterſuchung wurden ſolche Erkrankungen als „übertragbare Genickſtarre“ angeſprochen und demgemäß polizeilich gemeldet, bei welchen der Weichſelbaumſche Diplococcus gefunden wurde, während anderweitige bakteriologiſche Befunde auf ſekundäre, fortgeleitete Hirnhautentzündung bei Tuberkuloſe oder Lungenent⸗ zündung, Ohreiterungen oder andere Organerkrankungen hindeuteten. Es kamen hiernach vor: von übertragbarer (epidemiſcher) Genickſtarre 10 Fälle von 1uberkulöſer Genickſtarreeee , 22 , von ſonſtiger eitriger Genickſtarree... 25 2 zuſammen 37 Fälle Auffällig war, daß gerade in den Frühjahrsmonaten 1905, als die meiſten Fälle von epi⸗ demiſcher Genickſtarre vorkamen, auch die tuberkulöſen Hirnhautentzündungen in gehäufter Weiſe auftraten. Im vorigen Berichtsjahre kamen überhaupt nur 17 Fälle von Hirnhaut⸗ entzündung, darunter 12 tuberkulöſer Natur vor. Ein Zuſammenhang der hier behandelten Fälle von epidemiſcher Genickſtarre mit der oberſchlefiſchen. Epidemie ließ ſich in keinem Falle nachweiſen. Die Erkrankungen an Tuberkuloſe der Luftwege blieben mit 470 auf der Höhe des Vorjahres. Rechnet man hierzu die 22 Erkrankungen an tuberkulöſer Hirnhautentzündung, ſo ergibt ſich, daß nahezu ein Sechſtel aller innerlich Kranken wegen Tuberkuloſe in Behandlung waren, wobei noch nicht die große Zahl derjenigen Kranken berückſichtigt iſt, welche neben einem anderweitigen Grundleiden, ebenfalls deutliche Erſcheinungen eines Lungenſpitzenkatarrhs darboten. Wenn hieraus einerſeits hervorgeht, daß trotz aller geſundheitlichen Verbeſſerungen in den Wohnungs⸗ und ſonſtigen Lebensverhältniſſen der hieſigen Einwohner die Erkrankungen an Tuberkuloſe noch immer erſchreckend zahlreich ſind, ſo ergibt ſich andererſeits für unſer Krankenhaus die große Schwierigkeit, ſo große Mengen tuberkulöſer Kranker derartig unter⸗ zubringen, daß ſie ſich nicht gegenſeitig ſchädigen und beſonders nicht anderweitig Kranke durch Übertragung gefährden. Es iſt hierbei zu berückſichtigen, daß die erwähnte Geſamtzahl der Tuberkulöſen kein richtiges Bild von der täglich wirklich vorhandenen Zahl dieſer Kranken ergibt, denn die Lungentuberkulöſen bleiben zum größten Teil ſehr lange in der Behandlung, oft viele Monate hindurch, und daher kommt es, daß bei einer Geſamtzahl von ein Sechſtel aller Kranken die tägliche Belegungszahl der Tuberkulöſen etwa e in Viertel des ganzen Beſtandes an inneren Kranken ausmacht. Dieſe große Zahl von Schwindſüchtigen derartig unterzubringen, daß die Schwer⸗ kranken von den leichter Kranken getrennt, alle aber möglichſt abgeſondert von den übrigen Inſaſſen des Krankenhauſes bleiben, dürfte auf die Dauer nicht durchzuführen ſein, zumal die meiſten dieſer chroniſch Kranken ſich außer Bett befinden, ſich möglichſt viel im Freien auf⸗ halten ſollen, dabei aber dauernd mit anſteckendem Huſten behaftet ſind, ſo daß ein wirkſamer Schutz der übrigen Kranken aufs äußerſte erſchwert iſt. Dieſen gefährlichen Übelſtänden würde durch die Gründung einer beſonderen Tuber⸗ kuloſe⸗Heilanſtalt außerhalb der Mauern der Stadt in der ſicherſten und richtigſten Weiſe ab⸗ geholfen werden. Vergiftungen. Unter den Vergiftungen ſpielt dauernd die wichtigſte Rolle der Alkoholismus, über deſſen Bedeutung im vorigen Jahresberichte ausführlichere Mitteilungen gemacht ſind. Auch in dieſem Jahre wurden alle Kranken regiſtriert, welche nicht nur direkt wegen Alko⸗ holismus zur Aufnahme kamen, ſondern auch diejenigen, bei welchen ausgeſprochene krankhafte Organveränderungen infolge von Alkoholmißbrauch gefunden wurden. Es ergab ſich hierbei, daß von insgeſamt 1451 Männern 436 30 Zeichen von Alkoholſchädigung aufwieſen. Auf den Frauenabteilungen wurden 17 Alkoholiſtinnen gezählt, ferner zeigte ein Kind uunter 12 Jahren deutliche alkoholiſtiſche Krankheitserſcheinungen. Nächſt dem Alkohol ſpielt das Blei die wichtigſte Rolle unter den chroniſchen Ver⸗ 41 nicht ſowohl ſeiner Häufigkeit wegen, als in Rückſicht auf die Schwere ſeiner Wirkung. 8 Hier iſt zu bemerken, daß die ausgeſprochenen Bleivergiftungen der Arbeiter in den Farbfabriken, der Maler, Schriftſetzer u. a. an Häufigkeit entſchieden abgenommen haben. Während noch im Jahre 1899/1900 bei einem ſehr viel geringeren Krankenbeſtande 38 und im Jahre 1900/01, 28 Bleivergiftungen vorkamen, finden ſich im letzten Jahre nur 17 und in den vorangegangenen Jahren ähnliche Zahlen. 2442 22