280 220. — IV. Armen⸗Krankenpflege. a) Die Tätigkeit der Stadtärzte. ½ Die Geſamtzahl der Kranken iſt nur wenig gewachſen. In einzelnen Bezirken iſt dagegen die Zahl der Behandelten nicht unerheblich geſtiegen. Eine Ver⸗ gleichung nach Bezirken mit dem vorigen Jahre iſt aber nicht gut möglich, da ſich die Bezirke zum Teil geändert haben. Im ganzen hat die Zahl der Beſuche etwas, die Zahl der Gutachten nicht unerheblich abgenommen, während die Zahl der Konſult a⸗ tionen um etwa 400 geſtiegen iſt. Iſt ſomit im ganzen, zumal wenn man die Ver⸗ mehrung der Bevölkerung berückſichtigt, eine nennenswerte Erhöhung der Inanſpruchnahme ſtadtärztlicher Hilfe nicht eingetreten, ſo zeigen doch gerade die beſonders ſtark von der unbemittelten Bevölkerung bewohnten Bezirke eine erhebliche Steigerung der ſtadtärzt⸗ lichen Tätigkeit gegen das Vorjahr. Ein Bericht glaubt die Urſache vielleicht in dem an⸗ haltenden Winter ſehen zu ſollen. Ein anderer Bericht ſieht die Urſache zum Teil in der abnormen Teuerung und der durch ſie bedingten ſchlechten Ernährung der unteren Volksſchichten: in zahlreichen Fällen ſei als Grund der Erkrankung und als Krankheit ſelbſt nur eine auffallende Unterernährung namentlich der Kinder feſtzuſtellen ge⸗ weſen. Durch Verordnung von Milch und Krankenkoſt iſt der Berichterſtatter beſtrebt geweſen, wenigſtens den ſchwerſten Mißſtänden abzuhelfen. Daß die auf faſt allen Ge⸗ bieten eingetretene Preiserhöhung auch ſonſt auf den Armenetat nicht ohne Einfluß bleiben kann, liegt auf der Hand und iſt ſchon mehrfach von uns betont worden. Der uns ſoeben zugegangene neueſte Bericht der Armenverwaltung in Mannheim beſtätigt die gleiche Er⸗ fahrung auch dort. Von den im Jahre 1906 behandelten Krankheiten ſtehen der Zahl nach wie im vorigen Jahre an der Spitze die Krankheiten der Reſpirationsorgane mit 954 Fällen. Auf ſie folgen in derſelben Reihenfolge wie 1905 die Krankheiten des Nerven⸗ ſy ſte ms und der Sinnesorgane mit 689, die der Verdauungsappa⸗ rate mit 648, und dann wieder die Tuberkuloſe mit 545 Fällen. Mehrere Be⸗ richte weiſen auch diesmal auf die große Zahl der behandelten Fälle von Tuberkuloſe und Skr ofuloſe hin. Auch Anämie mit nicht weniger als 462 Fällen gehört zu den mit am häufigſten behandelten Krankheiten. Sehr gering iſt erfreulicherweiſe auch in dieſem Jahre die Zahl der Erkrankungen an Brechdurchfall. Die Zahl der Todesfälle an Brechdurchfall hat nur 6 (1905 9) betragen. Wir haben an dieſer Stelle mehrfach auf die geringer gewordene Sterblichkeit der Säuglinge unter den Haltekindern und ſtädtiſchen Pflegekindern, ſowie auf die niedrige Sterblichkeitsziffer der die Säuglingsfürſorgeſtellen beſuchenden Kinder hingewieſen. Die uns jetzt vom Statiſtiſchen Amt mitgeteilten Zahlen laſſen ſehr erfreulicherweiſe einen ſtändigen allgemeinen Rückgang der Sterblichkeit im erſten Lebensjahre erkennen. Während 1903 auf 100 Geburten noch 18,13 Sterbe⸗ fälle im erſten Lebensjahre kamen, ging ihre Zahl im Jahre 1904 auf 17,14, 1905 auf 15,62 und 1906 bis auf 14,21 zurück. Auch bei den unehelichen Kindern, die 1903 noch eine Sterb⸗ lichkeit von 36,5% aufwieſen, iſt der Rückgang der Sterblichkeit unverkennbar: ſie hat 1904 28,80, 1905 28,60 betragen und iſt 1906 bis auf 24,57 geſunken. Trotzdem iſt, da die Sterb⸗ lichkeit der ehelichen Kinder faſt durchweg nur halb ſoviel (1906 12,83 %) betragen hat, bei den unehelichen Kindern noch ein reiches Feld für eine weitere Fürſorgetätigkeit. Für die Säuglingsfürſorgeſtellen beſtand nach den ärztlichen Berichten in einigen Bezirken kein großes Intereſſe, weil die Kontrolle läſtig empfunden wurde. Leider iſt es uns bisher trotz vieler Bemühungen nicht gelungen, zu erreichen, daß alle ſtädtiſchen Pflegekinder, Haltekinder und unter Generalvormundſchaft ſtehenden Kinder regelmäßig die Säug⸗ lingsfürſorgeſtellen beſuchen. Epidemien ſind nach den Berichten der Stadtärzte im Jahre 1906 nicht auf⸗ getreten, nur aus einem Bezirk wird von einem epidemiſch vorgekommenen 2—3 Tage dauernden röthelartigem Ausſchlage berichtet. Die Geſundheitsver hältniſſe im allgemeinen werden faſt in allen Berichten als befriedigend bezeichnet. Das gleiche gilt im ganzen von den Woh⸗ nungsverhältniſſen, die faſt überall als nicht ungünſtig erachtet werden. In einem Berichte wird allerdings bei einigen Familien Mangel an Sinn für Reinlichkeit und Ordnung hervorgehoben, dem gegenüber jede Belehrung ohne Erfolg blieb, und ein anderer Bericht betont, daß noch mancher Aberglaube und manches Vorurteil zu überwinden ſei. Sonſt aber wird mehrfach ein wachſendes Verſtändnis für die Anforde⸗ rungen der Hygiene, für die Bedeutung von Luft und Licht feſtgeſtellt. Die Zahl der in den Wohnungen befindlichen Perſonen wird von einem Arzte als manchmal zu groß bezeichnet und ein anderer Arzt hat in einzelnen, wenn auch wenigen Fällen, die Ernäh⸗ rungs⸗ und Wohnungsverhältniſſe ſo gefunden, daß von einem geſundheitsgemäßen Leben keine Rede ſein konnte.