——. 9 — Jebens ſah das Leben und Treiben, die Sorgen und Nöte, das Aufblühen und ſtarte Ausgreifen ſeiner bedeutſamen Heimatſtadt im deutſchen Oſten; lebhafte hiſtoriſche Er⸗ inerungen webten um ihn, und mehr als einmal lenkte ſein Geiſt auf ſie zurück. In großen und kleinen Städten ſeiner Heimatprovinz, an unteren und oberen Gerichten wirkte er, lernte zahlreiche Menſchen mit ihren Vorzügen und Fehlern, ihren Leiſtungen und ihren Irrtümern kennen. Er wird erfüllt vom tiefſten Verſtändnis für die ſcheinbar widerſpruchs⸗ vollſten Eigenſchaften der Menſchennatur, und wer ihn gut gekannt hat, konnte hinter ſeiner ſtrengen ernſten Miené unſchwer das leidende Mitgefühl und die kummervolle Nachſicht bei dem Schickſale anderer erkennen. Als ihn dann ſein Lebensweg in den Mittelpunkt des Deutſchen Reiches, an hohe Stellen der Verwaltung und an höchſte des Richteramtes geleitet, da laſtete auf ihm, der andere milde und ſich hart beurteilte, oft ſchwer die große Verantwortlichkeit einer an hervorragender Stelle wirkenden Perſönlichkeit. Und als ihn, dem das Leben auch nicht immer Roſen ſtreuen konnte, des Staatsamts Bürde nicht mehr bedrückte, haben ſich ihm die mannigfaltigſten Erfahrungen zu einem Geſamtbilde, die innerlich erworbenen Erkenntniſſe zu einer Geſamtanſchauung geſtaltet. Es drängte ihn mit unwiderſtehlicher Gewalt, die Mittel geiſtiger Forſchung zu ergreifen, und ſo entſtand aus dem Wirklichen Geheimen Rat ein Gelehrter und aus dem Präſidenten des zweiten Senates, der ſich mit kommunalen Angelegenheiten lange Jahre beſchäftigen mußte, der Stadtrat von Charlottenburg. Für ſeine wiſſenſchaftliche Arbeit iſt ihm ſehr bald der ſchöne Lohn eines Ehrendoktors der Univerſität Freiburg zuteil geworden, und was er als un⸗ beſoldeter Kommunalbeamter geleiſtet hat, wird lange fortleben in der dankbaren Erinnerung ſeiner Mitbürger. Wiſſenſchaftliche und kommunale Tätigkeit, ſeine reichen Erfahrungen als Richter befähigten ihn zu dem ausgezeichneten Werke „Die Stadtverordneten“, das zuerſt 1899, dann in zweiter Auflage 1905 erſchien. Nur wer bei zahlloſen Einzelfragen in unſerer Literatur des Städterechts im Stich gelaſſen worden iſt, wird in vollrommenem Umfange zu verſtehen wiſſen, was wir dieſem kaſuiſtiſch tiefgehenden, unendlich mühſam entſtandenen Werke verdanken. Jebens war nicht geſchaffen zum Raſten, ein Leben ohne Arbeit und Pflichterfüllung war ihm ein unfaßbarer Gedanke. So ſetzte er ſeine Feder an, unendlich vorſichtig und peinlich abwägend, manchmal mit eigenartigen ſtiliſtiſchen Schnörkeln, wie ſie die Unterſchriften unſerer Großväter zeigen, mit rührender Akribie und einer Beſcheidenheit ſondergleichen. Eine große Reihe von Abhandlungen aus dem Gebiete des Verwaltungsrechts ſind aus ſeiner unermüdlichen Feder entſtanden. Seine beſondere Liebe galt dem Kommu⸗ nalrecht. Seine Arbeiten ſind hier zum Teil geradezu grundlegend geweſen. Uberall zeigte er bei ihnen dieſelbe Methode minutiöſer Kleinarbeit, induktiven Aufbau und vorſichtiges Vorſchreiten zu allgemeinen Sätzen. Er ſammelte bedächtig und ordnete nach wohl begründeten Prinzipien. Nirgends prunkvoll und ſtets ohne rauſchende Worte, aber überall echt, ſchlicht, eindrucksvoll. In ſeinem letzten Lebensjahre machte das Alter ſeine Rechte geltend, und mehrmals verurteilte ihn Krankheit zur unfreiwilligen Arbeitsruhe. Immer wieder raffte ſich der Nimmermüde auf zur Arbeit, aber es zeigte ſich doch die Macht der Natur. Im Oktober 1907 ſpricht er zu dem Verfaſſer ſeines Nachrufes traurig von einem auffälligen Rückgange des Geſundheitszuſtandes, „auf deſſen Beſſerung ich bei ſeinem engen Zuſammenhange mit meinem hohen Lebensalter kaum mehr zu rechnen habe; es will Abend werden“. Es iſt Abend geworden. Nach kurzer Krankheit traf ihn der Tod mit ſeinen leichteſten und ſtillſten Pfeilen. Er entſchlief ohne Schmerz und Kampf, ohne zu wiſſen und zu fühlen, daß es zu Ende ging. Viel Bitteres iſt ihm dadurch erſpart geblieben. Ihm, dem die Arbeit alles war, verſagte die Arbeitskraft. Ende Oktober zog er entſchloſſen die Konſequenz und legte ſeine Amter in der Stadtverwaltung Charlottenburgs und in einer kirchlichen Gemeinde⸗ verwaltung nieder, aber er ging in jenen Tagen umher, wie ein geſchlagener Mann. Und da kam gnädig das Ende.“ Für die hohe Wertſchätzung, die Jebens im Ehrendienſt der Stadt Charlottenburg genoſſen, ſprechen am beſten das bei ſeinem Ausſcheiden an ihn gerichtete, von ſämtlichen Mitgliedern vollzogene Abſchie dsſchreiben des Magiſtrats und der ihm bei ſeinem Ableben gewidmete Nachruf: „Charlottenburg, den 9. November 1907. Euere Exzellenz! Hochverehrter Herr Kollege! Die Niederlegung Ihres Amtes als Stadtrat hat uns, die wir mit Ihnen lange Jahre hindurch in einem Kollegium verbunden waren, mit aufrichtige m Schmer z erfüllt. Mit ſchwerem Herzen ſehen wir Sie aus unſerer Mitte ſcheiden, da wir uns bewußt ſind, daß Ihr Austritt eine Lücke in unſere Reihen reißt, die nicht wieder mit einem Manne von gleich hoher Eigenart ausgefüllt werden wird. Sie waren uns ein Neſtor im Rat und ein hohes Vorbild männ⸗ licher Denkart, zu dem wir voll Verehrung emporgeblickt haben. Sie haben unſere Beratungen mit Ihrer, in einem langen geſegneten Leben errungenen Weisheit befruchtet und im Sinne edler Menſchlichkeit beeinflußt. Mit Stolz hat die Stadt Charlottenburg Sie zu ihren Räten gezählt, haben wir Sie den Unſern genannt. 2