— 152 — Das Ledigenheim“. Von größter Bedeutung für das Wohnungsweſen der Stadt iſt die am 1. April 1908 erfolgte Eröffnung des Ledigenheims, das von der „Volkshotel⸗Aktiengeſellſchaft Ledigen⸗ heim“ auf dem Grundſtück Danckelmannſtraße 48/49 errichtet wurde. Die im Jahre 1905 mit einem Aktienkapital von 80 000 ℳ gegründete Aktiengeſellſchaft macht ſich zur Aufgabe die Bekämpfung des Schlafſtellenweſens in Charlottenburg durch Errichtung, Betrieb und Bewirtſchaftung von Ledigenheimen. Im Dezember 1906 wurde mit dem Bau des erſten Heimes auf dem von der Stadt der Aktiengeſellſchaft im Erbbaurecht überlaſſenen Grund⸗ ſtück Danckelmannſtraße 48/49 begonnen. Den Entwurf des Baues lieferte Stadt⸗ bauinſpektor Walter, der auch die Ausführung überwachte. Nachdem der Bau im Sommer 1907 infolge der Arbeiterbewegung im Baugewerbe 10 Wochen geruht hatte, wurde er im März 1908 vollendet und der Betrieb am 1. April 1908 eröffnet. Am Sonntag, dem 29. März fand eine Vorbeſichtigung ſtatt, zu welcher der Miniſter des Innern v. Moltke, der Finanzminiſter Frhr. v. Rheinbaben, der Regierungspräſident, die Polizeipräſidenten von Berlin, Charlottenburg und Rixdorf, die Vertreter der Nachbar⸗ gemeinden, Oberbürgermeiſter Schuſtehrus und Bürgermeiſter Matting mit faſt allen Magiſtratsmitgliedern, Stadtverordnetenvorſteher Kaufmann mit vielen Stadtver⸗ ordneten und eine große Zahl anderer Ehrengäſte erſchienen waren. Die Bedeutung des Ledigenheims, ſeine Entſtehung und Einrichtung hat Oberbürgermei ſt e r Schuſtehrus in der anläßlich der Jahrhundertfeier der Städteordnung erſchienenen Feſtnummer der „Königsberger Hartungſchen Zeitung“ folgendermaßen geſchildert: „Wir befinden uns in Deutſchland in der von Jahr zu Jahr fortſchreitenden Um⸗ wandlung vom Agrarſtaat zum Induſtrieſtaat: eine Tatſache, die man — ob man ſie be⸗ tlagt oder ſie begrüßt — nicht mehr wegleugnen kann und der man Rechnung tragen muß. Außer und neben anderen Faktoren, die dieſe Tatſache angeht, haben insbeſondere auch die Verwaltungen der mittleren und großen Städte alle Veranlaſſung, ſich mit ihr ernſtlich zu beſchäftigen, jener Städte, deren Induſtrie die ſtarke, geſunde Voltstraft vom Lande zu ſich heranzieht, um ſie in ihrem Intereſſe zu nutzen. Es iſt Sache dieſer Städte, als Organe des Staates, dem ſie dienen, darüber mit Fleiß zu wachen, daß aus dieſem „nutzen“ nicht ein „ausnutzen“ werde, daß dieſe Volkskraft nicht unter den ungünſtigen ſtädtiſchen Lebensbedingungen in wenigen Generationen verkümmere oder gar aufgerieben, ſondern vielmehr geſund an Leib und Seele erhalten und gefördert werde. In der Erkenntnis dieſer Pflicht haben die Städte auf dem Gebiete der Volksgeſund⸗ heit in den letzten Jahrzehnten denn auch viel Tüchtiges geleiſtet. Und gerade die deutſchen Städte ſind es, die in praktiſcher Anwendung der noch ſehr jungen Wiſſenſchaft der Hygiene mancherlei Einrichtungen geſchaffen haben, welche als muſtergültige von andern Nationen anerkannt und ſtudiert werden: in ihren Waſſerleitungen, ihren Kanaliſationen, ihren Krankenhäuſern, ihren Schulbauten u. a. m. Aber vieles, ſehr vieles bleibt noch zu tun übrig, und täglich mehren ſich mit dem ſchnellen Anwachſen der Städte die neuen Auf⸗ gaben, die gelöſt ſein wollen und die zu den alten treten, von denen ſo manche leider noch immer der Löſung harren. Zu dieſen letzteren gehört eine Aufgabe von grundlegender Bedeutung: die der Beſchaffung geſunder Wohnungen für die minder bemittelten Klaſſe n. Eine brennende Frage, deren Beantwortung die Verwaltungen der deutſchen Städte ſchon vor mehreren Jahrzehnten hätten in Angriff nehmen ſollen, die aber leider bis heute noch faſt allgemein unbeantwortet geblieben iſt. Und doch iſt ſie eine Frage von grundlegender Bedeutung: denn die Grundlage des Staates iſt die F a mil i e. Daß dieſe und das Leben in ihr ſtark und geſund erhalten werde, iſt eine Forderung von natio⸗ naler Bedeutung, die im Intereſſe der Erhaltung unſeres Staates, unſeres Volkes erfüllt werden muß. Ein körperlich und ſittlich geſundes Familienleben aber kann nur in einer geſunden Wohnung gedeihen, die durchſtrömt iſt von Licht und Luft, nur allein dem Leben der Familie dient und abgeſchloſſen iſt von allen unſittlichen und verbrecheriſchen Einflüſſen, die ſich, je größer die Städte werden, immer mehr in ihnen geltend machen. Solche Woh⸗ nungen zu ſchaffen, haben einzelne Stadtverwaltungen für ſich allein oder in Verbindung mit den ſehr ſegensreich wirkenden Baugenoſſenſchaften in den letzten Jahren ſich angelegen ſein laſſen. Muſtergültige Mietswohnungen in fünfgeſchoſſigen Häuſern, wie ſie ſich leider in großen Städten wegen der Höhe der Bodenpreiſe nicht vermeiden laſſen, hat in Berlin und Charlottenburg unter andern der äußerſt praktiſch und tatkräftig geleitete Berliner Bau⸗ und Spar⸗Verein errichtet. In Charlottenburg allein baut er zurzeit 1000 ſolcher kleinen Familienwohnungen, von denen etwa die Hälfte ſchon fertiggeſtellt iſt. Einer der wichtigſten Punkte des Programms für den Bau und die Benutzung dieſer Wohnungen iſt das ſtreng gehandhabte, abſolute Verbot der Aftervermietung. Es darf kein Schlaf⸗ ſteller in dieſe Wohnungen aufgenommen werden. Und damit komme ich zu einer äußerſt wichtigen Frage, die bisher in den deutſchen Städten nur ganz vereinzelt behandelt worden iſt: zur Frage der Bekämpfung des Schlafſtellenunweſens. Die Kliſchees der beigefügten Anſichten ſind uns vom Verlag Ullſtein « Co., Berlin SW. 68, gütigſt überlaſſen worden. 4