— 153 — Das Schlafſtellenunweſen bildet in unſern großen Städten einen tiefen Sumpf, deſſen verderbenbringende Miasmen verpeſtend in weite Kreiſe des ſtädtiſchen Lebens dringen, aus dem eine Flut von Unſittlichkeit und Verbrechertum hervorquillt, welche zahl⸗ loſe männliche und weibliche Schlafſteller erfaßt und mit ſich reißt, und der mit ſeinem Hauch das Familienleben der zahlloſen kleinen Leute vergiftet, die wegen der unzulänglichen und teuren Wohnungsverhältniſſe der großen Städte genötigt ſind, Schlafſtellen zu er⸗ öffnen und zu vermieten. Ein Kind, welches in einem Schlafſtellenhauſe aufwächſt, erfüllt ſeine Seele mit den traurigſten Bildern der dunkelſten Nachtſeiten des Lebens, ſieht ſie im eigenen Heim und rechts und links neben ſich alltäglich und wird ihrer ſo gewohnt, daß es ſich kaum jemals wieder in ſeinem Leben von den beſtimmenden Eindrücken dieſer Gewohn⸗ heiten wird befreien können. — So wirkt das Schlafſtellenunweſen gleich verderblich auf die Schlafſteller und Schlafſtellerinnen, wie auf die Familien und Kinder derer, die jene be⸗ herbergen. Es iſt ein großes und häßliches Übel, das auf alle Weiſe zu bekämpfen und zu vernichten iſt. Um das mit Erfolg zu tun, dazu genügt aber nicht der Bau von geſunden und billigen Familienhäuſern mit der negativen Maßnahme des Verbots von Aftervermietungen an Schlafſteller, ſondern dazu ſind in Ergänzung dieſer Familien⸗Wohnungsbauten auch poſitive Maßnahmen nötig zur einwandfreien Unterbringung jener zahlreichen Schlaf⸗ ſteller und Schlafſtellerinnen — in Groß⸗Berlin zählt man allein über 50 000 Schlafburſchen —, die doch ohne ein Unterkommen nicht bleiben können. Dieſen Weg der poſitiven Maß⸗ nahmen hat die Stadt Charlottenburg mit dem Bau des ſogenannten Ledigenheims beſchritten, das am 1. April dieſes Jahres eröffnet worden iſt und das als ein Verſuch zur Löſung der Frage des Schlafſtellenweſens angeſehen ſein will. Das Charlottenburger Ledigenheim iſt ein „Hotel“ für ledige Männer aus den minderbemittelten Volksſchichten, für Arbeiter aller Art, Handwerker, fleine Kaufleute und Techniker und ähnliche mehr, die bisher als Schlafſteller ein Unter⸗ kommen ſuchen mußten. So bezeichne ich es wohl am faßlichſten, um die richtige An⸗ ſchauung von ſeiner Eigenſchaft hervorzurufen. Nur daß die „Hotelgäſte“ im Ledigenheim nicht täglich wechſeln, ſondern längere Zeit, Monate, Jahre hindurch in ihm, wie in einem liebgewordenen Heim, Wohnung behalten ſollen. — Der Gedanke des Ledigenheims iſt den engliſchen Rowton⸗Häuſern entnommen, die in London von dem bekannten, im Jahre 1903 verſtorbenen Philanthropen Lord Rowton und der von ihm gebildeten Rowton⸗ Houſe⸗Geſellſchaft errichtet und verbreitet worden ſind mit der Abſicht und dem Erfolg einer guten Rentabilität dieſer Häuſer, ſo daß die für den Bau und den Betrieb aufge⸗ wendeten Koſten durch die Einnahmen mit 4 bis 5 Prozent verzinſt werden, wodurch auch das Privatkapital zur Beteiligung herangelockt werden ſollte und herangelockt worden iſt. Aber wenn wir in Charlottenburg den Gedanken des Ledigenheims den engliſchen Vorbildern entnommen haben, ſo haben wir deſſen Einrichtung nicht dem engliſchen Muſter nachgebildet, ſondern vielmehr den Gewohnheiten des deutſchen Arbeiters anzu⸗ paſſen geſucht. Dahin gehört vor allem, daß wir nicht das in England beliebte Kabinen⸗ oder Schlafzellenſyſtem übernommen haben. Bei dieſem ſind die in einem großen Saale nebeneinanderliegenden Schlafzellen von vier Wänden umgeben, die etwa 2 m hoch ſind, aber nicht bis zur Decke des Saales reichen, ſo daß jeder Laut aus einer Schlafzelle auch in den Nebenzellen zu hören iſt. Auch fehlt es in dieſen engliſchen Schlafzellen an einer Waſchgelegenheit. Statt deſſen ſind in dem großen Saale an geeigneten Stellen außerhalb der Schlafzellen Räume mit Waſcheinrichtungen zu gemeinſamer Benutzung angeordnet. — Wir haben erwogen, daß der deutſche Arbeiter ſich mit dieſem engliſchen Zellenſyſtem nicht befreunden, vielmehr ein abgeſchloſſenes Zimmer mit allen für den deutſchen Bewohner gewohnten Einrichtungen, d. h. alſo auch einem Waſchtiſche vorziehen wird, das ihm die Möglichkeit der Abſonderung von ſeinen Nachbarn, ſowie der größeren Ruhe und Selbſt⸗ ſtändigkeit und der Gemütlichkeit eines eigenen Heims gewährleiſtet. Wir haben deshalb bei dem Charlottenburger Ledigenheim von den engliſchen Kabinen gänzlich abgeſehen und nur vollſtändige Zimmer in ihm errichtet. Die öfters gehörte Anſicht, daß bei dem Zimmerſyſtem der doppelte Flächenraum gegenüber dem Kabinenſyſtem für die gleiche Bettenzahl notwendig ſei, hat ſich bei näherer Prüfung als irrig herausgeſtellt. Dies würde nur für den Fall zutreffen, daß in der einzelnen Kabine zwei Lagerſtellen über⸗ einander angeordnet werden, was nicht zweckmäßig erſcheint und auch in England m. W. nicht geſchieht. Was das Gebäude des Ledigenheims betrifft, ſo iſt dieſes auf einem ſtädtiſchen Grundſtück (Danckelmannſtraße Nr. 48/49) errichtet in einem älteren Stadtteile, der haupt⸗ ſächlich mit Wohnhäuſern für kleine und kleinere Leute bebaut iſt und in dem ſich die meiſten Schlafſtellen in Charlottenburg befinden. Man wollte auch in bezug auf die Lage des Ledigenheims den Gewohnheiten der Schlafſteller entgegenkommen. Das Gebäude beſteht aus f ü nn f Geſchoſſen, in deren oberſten vier die 306 Zimmer des Heims untergebracht ſind, welche — wie in einem Hotel — an Korridoren meiſtens ſich gegenüber liegen. Davon ſind 282 Zimmer mit einem Bett, 12 mit zwei Betten und 12 mit drei Betten ausgeſtattet, es ſind alſo im ganzen 342 Betten vorhanden. Die einbettigen Zimmer ſind 2 m breit, 3,10 m tief und 3 m hoch; die Grundfläche der zweibettigen Zimmer beträgt durchſchnittlich 3 auf 3,5 m bei 3 m Höhe, der dreibettigen 3 auf 5 m. Jedes Zimmer hat eine Tür und ein gegenüberliegendes Fenſter. In dem einbettigen Einzelzimmer findet 20