— 42 — hilfsbedürftigen Perſonen, die im Ehrendienſte der Stadt tätig geweſen ſind, und deren Hinterbliebenen: zur Errichtung eines künſtleriſch ausgeſtatteen Brunnens auf dem Steinplatze zum Gedächtnis des Freiherrn vom Stein aus ſtädtiſchen Mitteln ein Kapital von 50 000 ℳ bereit zu ſtellen und außerdem für dieſen Zweck das Kapital der der Stadtgemeinde Charlottenburg von ihren Mitbürgern zugewendeten Stiftung zur 59. eines Jubiläumsbrunnens in Höhe von etwa 20 000 ℳ zu ver⸗ wenden. Zu der im Rathauſe veranſtalteten ſchlichten Feier waren außer den Mitgliedern der hieſigen ſtädtiſchen Körperſchaften die Vertreter aller Reichs⸗ und Staatsbehörden, die in unſerem Gemeindebezirk ihren Sitz haben, ſowie zahlreiche Vertreter der Ehren⸗ beamten, der Beamten⸗ und Lehrerſchaft eingeladen. Die Feier wurde durch einen Vortrag des Charlottenburger Lehrer⸗Geſang⸗Vereins eingeleitet, worauf Stadtrat Profeſſor Dr I a ſt ro w folgende Feſtrede hielt: Meine Damen und Herren! Der Tag, deſſen hundertjährige Wiederkehr wir heute feſtlich begehen, fiel nicht in eine frohe Zeit. Die Monarchie war auf die Hälfte ihres Umfanges reduziert; der Feind ſtand im Lande; der König wagte es nicht, in ſeiner Hauptſtadt zu wohnen, ſondern hatte ſich bis in den äußerſten Oſten, nach Königsberg, zurückgezogen. In dieſer Zeit ſchwerer Not wandte man ſich an den Staatsmann, deſſen Dienſte man vor kurzem verſchmäht hatte, an den Freiherrn vom Stein. Schon nach einem Jahre ſetzten widerſtrebende und übermächtige Einflüſſe ſeine abermalige Entlaſſung durch. Fünf Tage vor ſeinem Sturz, am 19. No⸗ vember 1808, war es ihm gelungen, die Unterzeichnung eines neuen Grundgeſetzes für die Städte Preußens durchzuſetzen. Warum feiern wir dieſen Tag, den die Mitlebenden nicht als Feſttag gekannt haben? Wir feiern ihn wegen der Wirkungen, die die Schöpfung dieſes Tages ſpäter hervorgebracht hat, wegen der reichen Fülle von Lebenserſcheinungen, die der Steinſchen Städteordnung entſproſſen ſind. Zweierlei Art ſind die bedeutungsvollen Geſetze, die die Völker als Markſteine in ihrer Entwicklung betrachten. Die einen haben ihre Größe darin, daß ſie vorhandene Zuſtände richtig zeichnen, mit der Klarlegung des Beſtehenden eine ſichere Rechtsgrundlage und damit zugleich auch in gewiſſem Grade eine Grundlage weiterer Entwicklung ſchaffen. Die andern, das Antlitz nach vorn gekehrt, zeigen zu⸗ künftigen Generationen die Wege, wenngleich ſie es nicht verſchmähen, an Vorhandenes anzuknüpfen. Es iſt wenig bekannt, daß der preußiſche Staat das ſeltene Beiſpiel darbietet, für denſelben Gegenſtand, für die Ordnung ſtädtiſcher Verhältniſſe, zwei Geſetze zu beſitzen, die beide Typen in vollendeter Meiſter⸗ ſchaft darſtellen. Sie ſind kurz hintereinander erlaſſen worden: die Städteordnung, die im Allgemeinen Landrecht von 1794 enthalten iſt, und die Städteordnung von 1808, die wir heute feiern. Unter allen Geſetzbüchern der erſten Art, die mit pietätvoller Liebe das Beſtehende zeichnen und doch gleichzeitig von den Ideen aufklärenden Fortſchrittes getragen ſind, unter allen derartigen Geſetzbüchern, die die Menſchheit hervorgebracht hat, nimmt das preußiſche Allgemeine Landrecht die erſte Stelle ein. Es iſt ein Meiſterwerk, wie es wenige Völker aufzuweiſen haben. Aber es iſt beherrſcht von dem Glauben, daß es die Hauptaufgabe des Geſetzgebers ſei, das Beſtehende zu fixieren, daß er nur nebenbei, gewiſſermaßen durch aufgeklärte Interpretation des Beſtehenden, dem Fortſchritt zu dienen habe. Die traurigen Erfahrungen des folgenden Jahrzehnts haben gezeigt, daß die kleine Pforte, die dem Fortſchritt geöffnet wurde, nicht ausreichte. Es iſt in den letzten Jahren aus mannigfachem Anlaß daran erinnert worden, wie dieſes Staatsweſen zuſammenbrach, und wie man nun zu der andern Methode der Geſetzgebung überging: den Ideen, auf denen der Fortſchritt der Menſch⸗ heit beruht, nicht irgendein Plätzchen in der Ecke anzuweiſen, ſondern ſie in den Vordergrund zu ſtellen. Das iſt der Grundgedanke der Steinſchen Städteordnung von 1808. Suchen wir uns klar zu werden, worin die hauptſächlichſten Neuerungen beſtanden, die dieſes Geſetz in die ſtädtiſchen Verhältniſſe einführte. Die erſte und wichtigſte Neuerung war das Vorhandenſein dieſes Geſetzes ſelbſt, das Vorhanden⸗ ſein einer einheitlichen Städteordnung, während bis dahin die ſtädtiſche Verfaſſung in jeder Stadt ledig⸗ lich auf ihrem, manchmal aus alten Jahrhunderten ſtammenden Privileg beruhte. Die Städteordnung, die im Allgemeinen Landrecht enthalten iſt, ſollte nur für die Fälle gelten, in denen jenes Privileg nichts beſtimmte oder nicht ausreichte oder nicht mit Sicherheit feſtzuſtellen war. Mit vollem Bewußtſein ſtellt die Städteordnung den entgegengeſetzten Grundſatz auf: ſie ſetzt ſich als einheitliche, als gleichlautende Ordnung für alle Städte und damit an die Stelle der alten Privilegien. Bis auf den heutigen Tag iſt jener Zuſammenhang von Städteordnung und Privilegium nicht ganz verſchwunden. Der rechtliche Grund, weswegen die Städteordnung in einer Stadt gilt, iſt noch heute wie zu alten Zeiten die Verleihung durch den Landesherrn. Jedem Geſetz kann man anſehen, wo es gilt; der Städteordnung kann man es nicht anſehen. Denn ſie gibt keinerlei Anhalt dafür, welche Ge⸗ meinden als Städte anzuſehen ſind. Noch heute vollzieht ſich die Stadtwerdung in der Art, daß der König einer Gemeinde die Städteordnung verleiht; ſo wie in den Zeiten der alten Kaiſer das Soeſter oder Lübecker, das Magdeburgiſche oder das Culmiſche Recht verliehen wurde. Ganz in unſerer Nähe haben wir den Akt der Stadtwerdung von Schöneberg und Rixdorf, von Wilmersdorf, von Lichtenberg noch in den letzten Jahren erlebt. Er ging ſtets in der Art vor ſich, daß der Gemeinde ein beſtimmtes Stadt⸗ recht, nämlich das der Städteordnung, verliehen wurde. Das Zweite iſt, daß innerhalb jeder Stadt eine einheitliche Bürgerſchaft konſtituiert wurde. Das Allgemeine Landrecht denkt ſich die Bevölkerung der Stadt noch ſehr bunt zuſammengeſetzt; Adlige, die in der Stadt wohnen, gehören nicht zum Bürgertum, ebenſowenig die königlichen Beamten, die in ihr wohnen und eine eximierte Stellung einnehmen: niemand gehört zum Bürgertum, dem das Bürgerrecht nicht ausdrücklich verliehen iſt. Die Städteordnung macht Ernſt mit dem Gedanken ein⸗ heitlicher Bürgerſchaft. Sie kennt noch einen Unterſchied zwiſchen Bürgern und Schutzverwandten; aber dieſer Unterſchied wird dadurch überbrückt, daß der Schutzverwandte, der die Vorausſetzungen erfüllt, jederzeit das Bürgerrecht erwerben kann. Drittens: Die Städteordnung nimmt eine Auseinanderſetzung vor zwiſchen Staat und Stadt. Im Allgemeinen Landrecht ſchwebt der Gedanke vor, daß der Staat alle Verhältniſſe innerhalb ſeiner Grenzen zu regeln habe, daher auch die ſtädtiſchen, und wenn die Bürger etwas in ihren Angelegen⸗ heiten tun, ſo verdanken ſie es gewiſſermaßen dem ſtaatlichen Auftrage. Jener Gedanke, daß die Staats⸗ beamten eximiert von der ſtädtiſchen Gewalt und daher nicht Bürger ſeien, beruht auch auf dem Ge⸗ danken, daß alles ſtädtiſche Gemeinweſen lediglich auf ſtaatlichen Auftrag zurückgehe. Indem allen Eximierungen ein Ende gemacht wurde, wurden die Beamten ſich klar, daß ſie in ihrer Eigenſchaft als