. 443 — Staatsbeamte dem Staate, in ihrer Eigenſchaft als Bürger aber der Stadt angehören. Die Rechte, die der Staat über die Gemeinde übt und üben muß, wenn er nicht zerfallen will, wurden unter dem Namen der Aufſicht über die Stadtgemeinde neu und klar formuliert. Dieſe drei Punkte waren die Vorausſetzungen dafür, daß man den Bürgern die Verwaltung ihrer Angelegenheiten ſelbſt in die Hand geben konnte. Sie ſind die Vorausſetzungen ſtädtiſcher Selbſtver⸗ waltung geblieben bis auf den heutigen Tag. Trotz mancher Angſtlichkeit und kleinlicher Beſorgtheit haben doch auch die ſpäteren Städteordnungen von 1831 und 1853 — aus Zeiten, in denen ein anderer Geiſt zu walten ſchien — dieſe Grundlage nicht beſeitigt. Und darum gilt uns die Städteordnung von 1808 noch heute als das Fundament, auf dem der Bau unſerer ſtädtiſchen Gemeinweſen errichtet iſt. Das Organ, das dieſen Willen des Geſetzgebers zum Ausdruck brachte, waren die Stadtverord⸗ neten. Die Stadtverordneten ſind nicht geradezu eine Schöpfung der Steinſchen Städteordnung; unter dem Namen der „Repräſentanten“ oder der „Bürgervorſteher“, gelegentlich auch unter dem der „Stadt⸗ verordneten“ kommen ſie zu den Zeiten des Landrechts und in früheren Jahrhunderten vor. Aber erſt durch die Städteordnung wurde die geregelte Wahl der Stadtverordneten durch die Bürger vorgeſchrieben, während es früher von Privilegien, vom Herkommen, manchmal auch von Uſurpierung abhing, wer ſich zum Vertreter der Bürgerſchaft aufſchwang. Ebenſo bekamen die Stadtverordneten, die früher nur einzeln das Recht der Zuſtimmung zu gewiſſen Beſchlüſſen hatten, jetzt als Körperſchaft beſtimmte Be⸗ fugniſſe. Die erſte und wichtigſte Befugnis der Stadtverordneten, auf der ihr Anſpruch beruht, als Grund⸗ lage ſtädtiſcher Verwaltung zu gelten, iſt, daß ſie den Magiſtrat zuſammenſetzen. Dieſer Gedanke findet ſich theoretiſch — man möchte ſagen: philoſophiſch — bereits im Allgemeinen Landrecht, indem das Landrecht für alle Fälle, in denen nicht ein abweichendes Recht nachzuweiſen iſt, der Gemeinde das Recht gibt, die Magiſtratsmitglieder zu wählen. Aber da das Landrecht den Herrſchaftsgedanken, der das Ver⸗ hältnis von Staat zu Stadt beſtimmt, auch innerhalb der Stadt auf das Verhältnis von Magiſtrat und Bürgerſchaft anwendet, ſo fügt das Landrecht hinzu: „Wo die Gemeine das Wahlrecht hat, da wird ſelbiges der Regel nach durch den Magiſtrat ausgeübt.“ Das läuft darauf hinaus, daß nach dem Land⸗ recht die Magiſtrate ſich durch eine Kooptation ergänzen, nur gemildert durch jene Symbolik, die daran erinnert, daß es im Grunde doch ein Recht der Bürgerſchaft ſei, das dem Magiſtrat zur Ausübung an⸗ vertraut worden. In der Städteordnung aber wird der ausnahmsloſe Grundſatz aufgeſtellt, daß niemand an der Spitze der ſtädtiſchen Verwaltung ſtehen darf, der nicht durch das Vertrauen der Stadtverordneten dazu berufen wurde. Die Zuſammenſetzung des Magiſtrats iſt die wichtigſte Aufgabe der Stadtver⸗ ordneten. Die Stadtverordneten erhalten ferner das Recht, das Budget aufzuſtellen und allen Ver⸗ mögensmaßnahmen zuzuſtimmen. Ihnen wird endlich eine ganz allgemeine Befugnis in bezug auf die ſtädtiſche Verwaltung eingeräumt, die als Recht der Kontrolle bezeichnet wird. Dieſe Befugnis iſt ihrem Inhalte nach nicht identiſch mit der Aufſicht, die der Staat übt. Der Aufſicht, die der Staat über die Gemeinde übt, liegt der Gedanke zugrunde, daß er den Verhältniſſen fernſteht, und daß er daher in Fällen, die ein Eingreifen aus irgend welchem Grunde erforderlich machen, die richtige Inſtanz ſei, um fremd und, wie man annimmt, unbefangen den örtlichen Verhältniſſen gegenüberzutreten. Es iſt aber keineswegs wünſchenswert, daß ein Fremder oft in die Lage geſetzt werde, eingreifen zu müſſen. Des⸗ wegen muß der Verwaltungsapparat in ſich ein Organ beſitzen, das für die Beſeitigung von Übelſtänden ſelbſttätig ſorgt. Die Aufſicht ſteht ü b er, daher auch außerhal b der Verwaltung; die Kontrolle aber ſteht innerhalb der Verwaltung; ſie ſoll wirken wie die Unruhe an der Uhr. Mit dieſen geregelten Kompetenzen erhielt die Stadtverordnetenverſammlung auch eine ſelbſtändige Stellung gegenüber den Bürgern einerſeits, gegenüber dem Magiſtrat andererſeits. Die herrlichen Worte, in denen die Städteordnung die Selbſtändigkeit der Stadtverordneten gegenüber den Bürgern zum Aus⸗ druck bringt, ſind in dieſen Tagen oft wiederholt worden; man kann ihren Sinn nicht beſſer wiedergeben als durch ihren Wortlaut. Nachdem die Städteordnung beſtimmt hat, daß die Stadtverordneten ihren Wählern gegenüber weder Vollmachten und Inſtruktionen einzuholen, noch nachträglich Rechenſchaft abzulegen haben, faßt ſie ihre grundlegende Meinung hierüber in die Worte zuſammen: „Das Geſetz und ihre Wahl ſind ihre Vollmacht, ihre Überzeugung und ihre Anſicht vom gemeinen Beſten der Stadt ihre Inſtruktion, ihr Gewiſſen aber die Behörde, der ſie deshalb Rechen⸗ ſchaft zu geben haben.“ Es iſt die edelſte Grundlage ſelbſtändigen bürgerlichen Wirkens. Auch die Selbſtändigkeit gegenüber dem Magiſtrat tritt in der Städteordnung deutlich, man möchte ſagen: ſinnlich wahrnehmbar, in die Erſcheinung. Um jeden Anſchein eines Zuſammenhanges mit jenen alten Repräſentanten, Bürgervorſtehern oder auch ſogenannten Stadtverordneten zu vermeiden, die der Magiſtrat gelegentlich und einzeln aufs Rathaus rief, um ſie zu bitten, eine Urkunde mit zu unter⸗ ſchreiben, geht die Städteordnung von dem uns heute ſonderbar anmutenden Gedanken aus, daß die Stadtverordneten die Unabhängigkeit vom Magiſtrat äußerlich dadurch zum Ausdruck bringen müßten, daß ſie ſich ihr Verſammlungslokal ſelbſt beſtimmen, und zwar nicht im Rathaus, das in früheren Zeiten als der Sitz des Magiſtrats angeſehen wurde. Die Städteordnung ſchreibt vor: „in Ermangelung einer andern ſchicklichen Gelegenheit“ müſſe der Magiſtrat den Stadtverordneten auf dem Rathauſe ein Gelaß anweiſen; in erſter Linie aber wird vorausgeſetzt, daß die Stadtverordneten ſich ihren Verſammlungsraum ſelbſt beſtimmen. In dem Bau der Städteordnung iſt die Ausübung bürgerlicher Rechte durch die Stadtverordneten nur ein Spezialfall, wenngleich der wichtigſte. Das Stadtverordnetenmandat iſt die höchſte Würde, die die Bürgerſchaft unmittelbar vergibt. Aber auch jede andere Verwaltungstätigkeit ſoll in der Regel durch Bürger wahrgenommen werden; durch beſoldete Beamte nur, ſoweit es unumgänglich iſt. Allerdings kennt die Städteordnung ein Berufsbeamtentum; aber das Ehrenamt neben dem Berufsbeamtentum denkt ſich die Städteordnung als das Rückgrat dieſer Verwaltung. Das ſind die hauptſächlichſten Grundzüge deſſen, was wir bis auf den heutigen Tag als ſtädtiſche Selbſtverwaltung betrachten: das Recht der Bürger, ihre Angelegenheiten ſelbſt zu verwalten, der feſte an 5. daß in dieſer Verwaltung niemand tätig iſt, den nicht das Vertrauen der Bürger dazu be⸗ rufen hat. Wenn wir einen Blick darauf werfen, wie dieſe Städteordnung, nachdem ſie zuſtande gekommen, in die Wirklichkeit überſetzt wurde, ſo ſtoßen wir auf kein erfreuliches Bild. Im Laufe des Jahres 1808 iſt in unſerer Gegend, in der ganzen Kurmark, kaum ein Exemplar der Städteordnung bekannt geworden; nirgends waren ſoviele Exemplare vorhanden, daß man hätte daran gehen können, die Städteordnung wirklich einzuführen. Überall erfolgte die Einführung erſt im Jahre 1809. Auch ſtieß ſie keineswegs überall auf das volle Verſtändnis für die Größe der Aufgabe. Kaum darf man annehmen, daß es ein Zufall iſt, wenn in unſerer Stadt die erſten Protokolle der Stadtverordnetenverſammlungen fehlen; nach den Ver⸗ hältniſſen der Zeit liegt der Gedanke ſehr nahe, daß ſie niemals aufgenommen worden ſind, weil es noch eine Zeitlang dauerte, bis man in dieſe neuen und ſelbſtändigen Aufgaben hineinwuchs. In Charlotten⸗ burg waren erſt im Sommer 1809 die ſtädtiſchen Behörden konſtituiert. Den Geburtstag des Königs, den 3. Auguſt, wählte man, um den Magiſtrat feierlich in der Kirche zu vereidigen. Über dieſen Tag, den 3. Auguſt 1809, der alſo die tatſächliche Einführung der Städteordnung in Charlottenburg bedeutet, wenngleich die rechtliche früher erfolgte, beſitzen wir in dem ſogenannten Tagebuch des Oberpredigers