— 15 — ſo kann man ſagen: das Vertrauen, das Stein zu ſeinen Prinzipien hatte, hat ſich durch die Erfahrungen eines Jahrhunderts glänzend bewährt. 15 In noch höherem Maße zeigt ſich dies zweitens an den Aufgaben der ſtädtiſchen Verwaltung. Der Grundſtock aller Gemeindeaufgaben, in der Stadt wie auf dem Lande, waren in Deutſchland Schule und Armenpflege. Dazu kam als Drittes die Verwaltung ſtädtiſchen Eigentums, und unter dem Eigentum nehmen bereits die Bauten eine beſondere Stellung ein: dem Baurat ſchreibt man vor, daß er gleichzeitig für Straßenpflaſterung, Entwäſſerung, Unterhaltung öffentlicher Promenaden zu ſorgen habe. Alles andere neben dieſen drei Dingen: Schule, Armenpflege, Verwaltung des ſtädtiſchen Eigentums, ins⸗ beſondere Bauten — alles andere iſt im Jahre 1808 nur in kleinem Maßſtabe vorhanden. Sehen wir nun, was aus dieſen Anfängen ſich heute entwickelt hat, für welche gänzlich veränderten Aufgaben dieſe Seibſt⸗ verwaltung ausreichte. Zunächſt nimmt die Schule im Organismus der Verwaltung heute eine ganz andere Stellung ein, ſeitdem das Schulgeld abgeſchafft iſt; eine Maßregel, mit der die Städte vorangegangen ſind. Bis dahin war auch die Schule eine Art Armenanſtalt, indem in vollem Umfange nur für die Kinder der Armen geſorgt wurde, die das Schulgeld nicht aufbringen konnen. Erſt ſeit Abſchaffung des Schulgeldes trat deutlich zutage, daß die Schule Volkserziehungsanſtalt in größtem Maßſtabe iſt. Zu der Volksſchule iſt hinzugekommen die Fortbildungsſchule, verſchiedene Fachſchulen, Kunſtgewerbe⸗ und Handwerkerſchulen. Die Gelehrten⸗ oder Lateinſchulen, die es damals bereits gab, nehmen eine ganz andere Stellung ein, ſeitdem ihnen die Realanſtalten ebenbürtig zur Seite getreten ſind — faſt durchgehends Schöpfungen der ſtädtiſchen Verwaltungen. Man iſt daran gegangen, zwiſchen der Volksſchule und den höheren Schulen Bindeglieder zu ſchaffen, in unſerer Gemeinde durch die Einrichtung eines fremdſprachlichen Unterrichts. Damit iſt Breſche gelegt in die Anſchauung, daß die Kinder des Volkes eine unterſchiedsloſe Maſſe ſeien, die nur nach einem Schema zu unterrichten wären. Der fremdſprachliche Unterricht, der nur den Be⸗ fähigteſten erteilt wird, iſt der erſte Anfang zu einer Ausleſe der befähigten Schüler nach oben hin, ebenſo wie Klaſſen für Schwachbefähigte eine Entlaſtung nach unten hin bewirken. — Neben der geiſtigen Pflege iſt Körperpflege eingeführt worden. Turnhallen ſind errichtet, Schwimmunterricht wird erteilt oder unter⸗ ſtützt, und wir haben geiſtige und körperliche Pflege vereinigt durch die Errichtung von Waldſchulen. Schulbäder und Schulärzte bringen zum Ausdruck, daß die Schule, das Durchgangsſtadium, durch das in einem gewiſſen Lebensalter die ganze Bevölkerung hindurchgehen muß, berufen iſt, für die hygieniſche Erziehung des Volkes zu wirken. — Welche Fülle neuer Aufgaben bedeutete es, als man die Mädchen⸗ bildung als gleich wichtig wie die Knabenbildung erkannte! Faſt könnte man ſagen: der Gedanke, daß die Schule nicht in erſter Linie eine Sondereinrichtung für das männliche Geſchlecht ſei, iſt erſt in den Städten gefunden worden. Erſt hier ſind ſpezifiſch weibliche Unterrichtsſtoffe, wie der Haushaltungsunterricht, in ihrer Bedeutung erkannt, Vorurteile wie das, daß Körperübung nur Knabenſache ſei, beſeitigt worden. Erſt hier auch iſt der höheren Mädchenſchulbildung ein ernſtes und feſtes Ziel geſetzt worden, das in dieſen Tagen durch Einrichtung der Mädchengymnaſien amtliche Anerkennung gefunden hat. Was in der Mädchenſchulreform Erfolg gehabt hat, iſt in allem Weſentlichen aus dem Ideenſchatz der ſtädtiſchen Selbſtverwaltung gefloſſen. — An dieſe Schulverwaltung ſchließen ſich heute Maßregeln für die Bildung der Erwachſenen an: Volksbibliotheken, Leſehallen, Errichtung oder Unterſtützung von Theatern durch die ſtädtiſchen Gemeinſchaften. In dem andern alten Reſſort, der Armenpflege, iſt im Laufe der Zeit eine ganze neue Auf⸗ faſſung von den Aufgaben dieſes Verwaltungszweiges eingetreten. Sie heftet ſich an das Prinzip der individualiſierenden Armenpflege, wie es von Krefeld und Elberfeld ausgegangen iſt. Das Prinzip der individualiſierenden Armenpflege beruht auf dem Gedanken, daß der einzelne Arme nach ſeinen individuellen Verhältniſſen behandelt werden ſoll. Welches Heer von beſoldeten Beamten wäre imſtande, eine ſolche Aufgabe — ich will nicht ſagen: zu löſen, ja, auch nur zu erfaſſen! Die individualiſierende Armenpflege war nur möglich mit dem Steinſchen Gedanken des ſtädtiſchen Ehrenamtes. Dadurch, daß die Organe der Armenpflege mit den unterſten Volksmaſſen in Berührung kamen, nicht mit ihnen als Maſſe, ſondern mit ihren Vertretern in einzelnen Perſonen, dadurch war dieſes Reſſort früher als irgendein anderes be⸗ rufen, deren Bedürfniſſe zu erkennen und, wenn Einrichtungen zur Befriedigung dieſer Bedürfniſſe aus⸗ gebildet wurden, ſie zu ſelbſtändigen Verwaltungszweigen ſich auswachſen zu laſſen. In dieſer Art iſt gewiſſermaßen jener Vorgang der Entwicklung von der Armenſchule zur ſelbſtändigen Volksſchule auf⸗ zufaſſen. Er ſpielt ſich in derſelben Art ab in dem Übergang von dem in früheren Zeiten gefürchteten Armenlazarett zu dem modernen Krankenhauſe, von der mitleidigen Arbeitsbeſchaffung für einen Not⸗ leidenden zu der modernen Einrichtung des Arbeitsnachweiſes und der beſtändigen Verfolgung des Arbeitsmarktes, von der Armenkinderpflege zur Waiſenpflege und ſtädtiſchen Generalvormundſchaft. In wie ſtarkem Maße die ſtädtiſche Selbſtverwaltung hier tätig war, zeigt ſich darin, daß die Juſtiz ihren erſten großen Anlauf in der Frage der Kriminalität der Jugendlichen nicht vollziehen konnte ohne die Mitwirkung aus den Kreiſen ſtädtiſcher Selbſtverwaltung in Geſtalt der in dieſen — ſoll ich ſagen: Monaten, Wochen oder Tagen? ſo neu iſt die Einrichtung — entſtandenen Schöpfung der Jugendgerichtshöfe. Aus kümmerlichen Einrichtungen für die Obdachloſen entwickelte ſich eine ſtädtiſche Wohnungspolitik. Vor allem aber iſt die ſtädtiſche Armenpflege für alle Zweige der Verwaltung vorbildlich geworden in ihrem Beſtreben, Fühlung zu bekommen mit den Privaten — ſei es Vereinen, ſei es Einzelnen, — die das gleiche Ziel verfolgen. Die Zentralen für Wohlfahrtsbeſtrebungen, die Zentralen für öffentliche und private Armenpflege, ſo unvollkommen ſie bis jetzt auch ſein mögen, ſie ſind das Vollkommenſte, das die geſamte Verwaltung für das Zuſammenwirken amtlicher und privater Kräfte hervorgebracht hat. IIn dieſen Reformen der Armenpflege hat ſich auch gezeigt, welch erfreulich große Reſerven die ſtädtiſche Selbſtverwaltung noch beſitzt, die ſie bisher nicht in den Kampf geſchickt hatte: die Armee, über die wir verfügen können, iſt verdoppelt, ſeitdem die ſtädtiſche Armenpflege die Frau entdeckt hat. Die Armenpflege war das erſte Reſſort, in dem die Frau wirklich tätig im Beſitze eines ſtädtiſchen Ehrenamtes in die Verwaltung eingetreten iſt. Wie gänzlich anders als jene lärmenden Frauenrechtlerinnen jenſeits des Kanals nimmt ſich bei uns dieſes Vorgehen der Frau aus, die Pflichten verlangt in dem ruhigen Ver⸗ trauen, daß die Rechte folgen werden, in feinem Verſtändnis für den Sinn des Geſetzes, das wir heute feiern, uns Männern ein Vorbild. Laſſen wir uns an dem Beiſpiel dieſer beiden älteſten ſtädtiſchen Verwaltungszweige genügen. Denn ähnlich wie in Schule und Armenpflege hat ſich die Entwicklung in allen anderen Einzelheiten der Verwaltung vollzogen. Welcher Weg iſt vom ledernen Löſcheimer bis zur modernen Feuerwehr, von der Ollampe, die ihr kümmerliches Flämmchen im Dunkel der Straße leuchten läßt, bis zur Gas⸗ und elet⸗ triſchen Beleuchtung! Überall erwuchſen dem ſtädtiſchen Selbſtverwaltungskörper aus neuen Leiſtungen neue Aufgaben. Wie hat der weiſe Mann, dem wir die Städteordnung verdanken, die ſtädtiſchen Aufgaben ſo um⸗ grenzen können, daß die einmal gegebene Erklärung auf ſo gänzlich veränderte Verhältniſſe anwendbar blieb? Vergebens durchblättern wir das Geſetz, um die Zauberformel zu finden; es enthält nirgends eine Definition der Stadtkompetenz. Das iſt das großartige Vertrauen, das der Geſetzgeber zu ſeinem Werke hatte: er ſetzte das Bürgertum in den Sattel, er wußte, daß es das Ziel für den Ritt ſelbſt finden werde. Auf dieſem Mangel jeder Definition der Stadtkompetenz — ein Mangel, der zur Folge hat, daß die Stadtkompetenz ſo weit reicht, wie ſie nicht durch Staatsgeſetze ausdrücklich eingeengt iſt —, auf dem,