— 155 — Hundert der Bevölkerung. Ihre Zunahme iſt ſicher in der Hauptſache durch die Un g un ſt der wirtſchaftlichen Verhältniſſe bedingt: Bei der Inanſpruchnahme der armenärztlichen Verſorgung durch arbeitsloſe, früher Krankenkaſſen angehörige Perſonen kann man das faſt poſitiv nachweiſen; die hohen Mieten, auf die unten noch näher einzu⸗ gehen ſein wird, und die andauernd hohen Lebensmittelpreiſe, deren Steigerung leider noch nicht ihr Ende erreicht hat, haben ſicher zahlreiche Perſonen, die ſonſt notdürftig ohne Armenhilfe durchkamen, zu ihrer Anrufung gezwungen. Die Verwaltung war aber ferner — und das hat ſie f a ſt e be nſo ſtark belaſtet — infolge der Preisſteige⸗ rung faſt aller Lebensbedürfniſſe nicht nur gezwungen, höher als ſonſt zu unter⸗ ſt ü tzen, ohne doch dadurch mehr zu leiſten, ſondern auch ſelbſt für die Lieferungen und Leiſtungen, deren ſie zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedurfte, faſt überall weſentlich mehr zu zahlen als bisher. So ſind die Verpflegungsſätze faſt aller Heilanſtalten erheblich, bis zu 25 vom Hundert, erhöht worden; ſo war ſie ge⸗ zwungen, den Preis für die Milſch um 10 vom Hundert zu erhöhen; die Preiſe für Feuerung ſind ſtark geſtiegen; die Honorare der Hebammen mußten weſentlich erhöht werden; ſchließlich war die Stadt genötigt, auch die Pflegeſätze für Kinder erneut nach oben abzuändern. Alles das zeigt deutlich — es muß das immer wieder betont werden, damit die eingetretene Er⸗ höhung der Armenlaſt richtig gewürdigt wird — welche ſchwere Belaſtung die allgemeine Lage auf dem Wirtſchaftsmarkt auch für die Armenverwaltung zur Folge hat, ohne daß im Endergebnis die Armen ſelbſt auch nur das geringſte mehr erhalten. Eine Steigerung der Höhe der Unterſtützungen, wie man ſie eigentlich erwarten müßte, iſt dabei nur zu einem kleinen Teile eingetreten. Bei den 3731 la ufend Unter⸗ ſtützten — nur 282 mehr als 1907 und nur 2247 (149 mehr als 1907) das ganze Jahr hindurch unterſtützt — bewegten ſich 53% aller Unterſtützungen in den Stufen von 9—15; nur 31% waren höher als 18 ℳ, nur 14% höher als 21 ℳ monatlich. Auch der Monats⸗ durchſchnittsſatz hat, wenn er auch naturgemäß etwas gegen das Vorjahr ge⸗ ſtiegen iſt, nur 15,20 ℳ (1907: 14,54 ℳ) betragen. Wie gering dieſe Steigerung iſt, wird auch diesmal am beſten klar, wenn man damit die wieder feſtgeſtellte weitere Steigerung der Mieten der von den Armen bewohnten Wohnungen zuſammen⸗ hält. Die Zahl der leerſte hen den Wohnungen von Stube und Küche — der Wohnungen, die für die große Mehrheit der Armen allein in Frage kommen — iſt aller⸗ dings etwas gegen früher geſtiegen: im Dezember 1907 wurden 124, im Dezember 1908 (mit den Wohnungen ohne Kuche) 220 ſolche Wohnungen gezählt. Erwägt man aber, daß ſchon 1898, wo Charlottenburg über 100 000 Einwohner weniger hatte als 1908, 221 leere Wohnungen von Stube und Küche vorhanden waren, und berückſichtigt man die Geſamtzahl der vorhandenen Wohnungen von Stube und Küche (am 1. Dezember 1908: 13 619), ſo iſt klar, daß die winzige Zahl leerſtehender kleiner Wohnungen die Mieten ſchwerlich beeinfluſſen kann. Und in der Tat zeigt die fort geführte Statiſtik der Armenwohnungen eine von Jahr zu Jahr weiter⸗ wachſende Erhöhung der Mietspreiſe der Kleinwohnungen. Der Durchſchnittspreis von 115 im Jahre 1908 neu gezählten Armenwohnungen von Stube und Küche hat 23,67.dℳ (1907: 22,50, 1906: 21 89, 1905: 21,06) betragen. Bei 30 im erſten Vierteljahr 1909 gezählten ſolchen Wohnungen iſt eine weitere Steigerung auf 24,93 ℳ zu verzeichnen; 11 von den 30 Wohnungen haben über 25 ℳ monatlich gekoſtet. Die fortgeſetzte Steigerung der Preiſe findet auch diesmal ihre Beſtätigung in den vom Statiſtiſchen Amt aus den 3ählkarten ermittelten Preiſen der Wohnungen der Armenbevölkerung. Bei den Wohnungen von Stube und Küche hat der Durchſchnittspreis der Woh⸗ nungen o h n e Aftermieter im Vorder hauſe (109) 20,06 ℳ, im Hinter hauſe (649) 22,04 ℳ, der Wohnungen mit Aftermietern im Vorderhauſe (21) 24,29 ℳ, im Hinterhauſe (83) 24,11 ℳ betragen. Im vorigen Jahre betrug der Durchſchnittspreis aller damals gezählten 891 Wohnungen von Stube und Küche noch 20,3 ℳ. Auch diesmal ſind die Preiſe der Wohnungen, in die Aftermieter aufgenommen werden, überall h öher als die der Wohnungen ohne Aftermieter. Mieten von der angegebenen Höhe zwingen natürlich fortdauernd kinderreiche Familien, ſich im Wohnraum auf das geringſte überhaupt noch mögliche Maß zu beſchränken. Auch diesmal befanden ſich unter den gezählten 862 Wohnungen von Stube und Küche 67, die von mehr als 6 Perſonen, und 25, die von mehr als 7 Perſonen bewohnt waren, während in 6 Wohnungen mehr als 8, in 2 Wohnungen mehr als 9 Perſonen und in einer Wohnung von Stube und Küche ſogar 12 Perſonen wohnten. Welche Be⸗ denken dieſes Zuſammendrängen zahlreicher Perſonen auf engſtem Raum in geſundheitlicher Beziehung hat, bedarf keiner Ausführung; auch die Berichte der Stadtärzte weiſen mehrfach darauf hin, wie ſie als Folge der ſchlechten wirtſchaftlichen Verhältniſſe auch häufig Unterernährung haben feſtſtellen müſſen. Die Ungunſt der wirtſchaftlichen Verhältniſſe hat die Armenverwaltung auch mehr als in früheren Jahren zu erheblichen Aufwendungen genötigt, um Familien, denen Exmiſſion drohte, die Wohnung zu erhalten. In 550 Fällen mußten zu dieſem Zweck 13 496,20 ℳ aufgewendet werden, während in 172 Fällen weitere 3381 ℳ? gezahlt werden mußten, um obdachlos gewordenen Familien ein neues Unterkommen zu ver⸗ ſchaffen. Ein umfangreicher Erweiterungsbau des ſtädtiſchen Obdachs, das nach ſeiner Fertigſtellung außer den Räumen für die mit Verpflegung aufzu⸗ nehmenden Familien und einzelnen Obdachloſen über etwa 60 Familienwohnungen ver⸗ fügen wird, wird vorausſichtlich noch in dieſem Jahre fertig werden. Näheres darüber muß dem nächſten Bericht vorbehalten werden. Ein Zeichen der Verſchlechterung der wirtſchaftlichen Verhältniſſe iſt auch die außer, ordentliche Zunahme der Zahl der Armutszeugniſſe zur Prozeßführung⸗ die von 1665 im Vorjahre auf 2176 angewachſen iſt. 20*