— 206 — daß die in hieſigen Anſtalten untergebrachten ortsfre m den Säuglinge, die in den Anſtalten ſterben, die Sterblichteitsziffer erhöhen. Eine Feſtſtellung des Statiſtiſchen Amtes hat ergeben, daß nur 6 ſolche Kinder in Frage kommen. Die Sterblichkeitsziffer der Kinder im erſten Lebensmonat und die der unehelichen Kinder weiter herabzudrücken, wird daher die ernſteſte Aufgabe ſein müſſen. Ob und auf welchem Wege es zu erreichen ſein wird, läßt ſich heute noch nicht überſehen. Ein ſtärkerer Schutz der Kinder im erſten Lebensmonat darf für die Zukunft vielleicht von der jetzt in größerem Umfange möglichen Anſtaltspflege der am meiſten gefährdeten Säuglinge erwartet werden. Andererſeits werden die Bemühungen, die Kinder ſo früh als irgend möglich den Säuglingsfürſorgeſtellen zuzuführen, hoffentlich von noch weiterem Erfolg begleitet ſein. Um das zu erreichen, iſt Ende des vorigen Jahres die Einrichtung getroffen worden, daß zwei mit der ſozialen Fürſorgearbeit vertraute beſoldete Damen täglich die von den Standes⸗ ämtern eingehenden Geburten⸗Anzeigen abholen und unverzüglich die Familien, die nach dem Stande der Eltern, der Lage der Wohnung uſw. der Fürſorge zu bedürfen ſcheinen, aufſuchen, um die Mutter zum baldigſten Aufſuchen der Fürſorgeſtellen zu beſtimmen. Tatſächlich hat 1909 die Zahl der ſchon im erſten Lebensmonat den Fürſorgeſtellen zu⸗ geführten Säuglinge etwas zugenommen. Für die unehelichen Säuglinge trifft das aller⸗ dings noch nicht zu, wenn auch der Prozentſatz der ſchon im erſten Lebensmonat vorgeſtellten unehelichen Kinder, 43,09, als recht hoch angeſehen werden darf. Zwei neuerdings im Intereſſe eines verſtärkten Schutzes beſonders der unehelichen Kinder getroffene Maß⸗ nahmen ſind weiter unten erwähnt. Inwieweit das Herabgehen der Säuglingsſterblichkeit in Charlottenburg auf die von der Stadtgemeinde getroffenen Maßnahmen zurückzuführen iſt, ſoll hier nicht entſchieden werden. Daß ſie nicht ganz ohne Einfluß darauf geblieben iſt, wird man, auch wenn ein zahlen⸗ mäßiger Beweis nicht möglich iſt, als ſicher annehmen dürfen. Dafür ſpricht insbeſondere das allmähliche Verſchwinden der erhöhten Sommerſterblichkeit, das — wenn auch die Witterung darauf von ſehr weſentlichem Einfluß geweſen ſein dürfte — der ſtärkeren In⸗ anſpruchnahme des wohl ſtärkſten Faktors zum Schutz der Kinder, der Säuglingsfürſorge⸗ ſtellen, parallel geht. Die von der Stadt zum Schutz der Säuglinge getroffenen oder von ihr unterſtützten und der minderbemittelten Bevölkerung nutzbar gemachten Einrichtungen ſind im letzten Jahresbericht einzeln näher behandelt worden, ſo daß wir uns diesmal auf eine kurze Zu⸗ ſammenfaſſung beſchränken können. Was im vorigen Bericht betont wurde, kann auch dies⸗ mal wiederholt werden: Nach und nach iſt in Charlottenburg auf dieſem Gebiet ſyſtematiſch ein Bauſtein zum anderen gefügt worden, bis ſchließlich ein feſtes Gebäude entſtanden iſt, ein in ſich geſchloſſenes Syſtem der Säuglingsfürſorge, das ſchon vor der Geburt des Kindes einſetzt, die Geburt überwacht und nach ihr mit verſtärkter Fürſorge eingreif t. Und noch etwas anderes der Charlotten⸗ burger Organiſation Charakteriſtiſches darf hier hervorgehoben werden. Sollen die vor⸗ handenen Einrichtungen den Nutzen bringen, den ſie bringen können, ſo muß ihre Inanſpruchnahme ſo leicht gemacht werden, als nur irgend mögliſch. Wenn ein kranker Säugling der Anſtaltspflege bedarf und jeder Augenblick der Verzögerung für ſein Leben entſcheidend ſein kann, oder wenn eine Schwangere obdachlos auf der Straße ſteht, geht es nicht an, die Aufnahme erſt von der Beſchaffung eines Über⸗ weiſungsſcheines der zuſtändigen Stelle abhängig zu machen. Deshalb ſind alle in Betracht kommenden Anſtalten ermächtigt worden, jeden Aufnahme⸗ bedürftigen ohne weiteres, ohne vorherige Anfrage und ohne Vorſchußzahlung, nötigenfalls für Rechnung der Armenverwaltung aufzunehmen, wie das übrigens abweichend von vielen anderen Großſtädten in den ſtädtiſchen Krankenhäuſern ſeit jeher geſchieht. Die Armenverwaltung prüft dann ihrerſeits in aller Ruhe nachher, ob ein wirklicher Armen⸗ pflegefall vorliegt, und ob eine Wiedereinziehung der Koſten möglich iſt. So kann weiter zur Entbindung nicht nur auf Grund des vom Armen⸗Kommiſſions⸗Vorſteher aus⸗ geſtellten Scheines die Hilfe jeder beliebigen hieſigen Hebamme in Anſpruch genommen werden, ſondern der Schein kann auch nachträg liſch innerhalb 14 Tagen nach der Entbindung nachgeſucht werden, damit keine hilfsbedürftige Frau ohne die Hilfe einer Hebamme bei der Entbindung bleibt. So iſt ferner der ſtädtiſche General⸗ vormund ermächtigt, wenn augenblickliche Hilfe geboten iſt, aus einer ihm zur Ver⸗ fügung geſtellten Handkaſſe ſofort kleine Unterſtützung e n für Rechnung der Armenverwaltung zu zahlen, bis die Organe der Armenpflege eintreten, und weiter ermäch⸗ tigt, jedes ſeiner Vormundſchaft unterſtehende Kind o hne weiteres für Rech⸗ nung der Stadt in eine ſt ä d ti ſch e Pflegeſtelle unterzubringen, wenn und ſo lange von anderer Seite Mittel zur Zahlung nicht zu erlangen ſind. So ſind auch die S äuglingsfürſorg eſtellen, wenn ſie einer Familie ihre Fürſorge angedeihen laſſen wollen, nicht wie vielfach anderwärts an eine b e ſt immte Ein⸗ kommensgrenze gebunden: die Vorſchrift, daß die Mutter mit ihrem Kind allwöchentlich in der Sprechſtunde erſcheinen und dort häufig lange warten muß, ehe bei dem großen Andrange das Kind unterſucht wird, wird als ausreichend erachtet, Perſonen, die der Hilfe der Säuglingsfürſorgeſtellen nicht bedürfen, von ihrer Benutzung auszuſchließen.