— 156 — D. Das Schillertheater. Das Schillertheater hat im Berichtsjahre durch den Tod ſeines Direktors Dr Raphael Löwenfeld einen ſchweren Verluſt erlitten. Am 8. Januar 1911 wurde im Schillertheater eine Trauerfeier für den Verſtobenen veranſtaltet, bei welcher Oberbürgermeiſter Schuſtehrus fol⸗ gende Worte ſprach: „Hochanſehnliche Trauerverſammlung! Durch den Tod Ir. Raphael Loewenfel ds hat das Schillertheater ſeinen Vater verloren. Der Name des Schillertheaters iſt mit dem Namen Loewenfeld unauslöslich für immer verbunden, wie der Name des Sohnes mit dem des Vaters. Das Schillertheater iſt Loewenfelds eigenſte Schöpfung: Aus ſeinem Geiſte entſprungen, von ihm geſtaltet, von ihm behütet und geleitet in den zarten Jahren der Kindheit mit der Liebe des Vaters zum geliebten Kinde, von ihm großgezogen mit ſicherer ſtarker Hand und auf eigene Füße geſtellt, daß es nun — da er es im Tode verlaſſen hat — ſeinem Vater Ehre mache und vor Aller Welt durch die Tat bekunde, daß es durch ihn ſtark geworden iſt, in den von ihm vorgezeichneten Bahnen nunmehr aus eigener Kraft weiter zu wandeln. So waren denn Aufſichtsrat und Bühnenangehörige des Schillertheaters vor Jedem berufen, zu einer Trauerfeier für Raphael Loewenfeld einzuladen, um in dieſen Räumen, die von ſeinem Geiſte ganz erfüllt ſind, das leuchtende Bild des teuern Entſchlafenen der Trauergemeinde vorzuführen, daß wir mit den Gefühlen des Dankes in gemeinſamer Trauer, in gemeinſamer Liebe und Verehrung noch einmal vor dieſem Bilde uns neigen. Die Trauergemeinde, die ſich um Raphael Loewenfeld ſchart, iſt eine große, denn die Trauer um ſeinen Hingang ergreift die weiteſten Kreiſe. Darunter auch die Stadt Charlottenburg, ihre Ver⸗ waltung und ihre Bürgerſchaft und jene Tauſende und Abertauſende, die ſich Abend für Abend und Jahr für Jahr in dieſes Haus drängen, und es bis zum letzten Platz füllen, um ihre Seelen zu er⸗ friſchen und zu erheben und zu ſtärken für den Kampf des Tages an den Bildern des Lebens, die dieſe Bühne ihnen zeigt. Und wenn ich heute im Namen Charlottenburgs und ſeiner Bürgerſchaft, im Namen jener Tauſende von Beſuchern des Schillertheaters ſpreche, ſo durchſtrömt mich das Gefühl, des warmen, leben⸗ digen Dankes gegen den Dahingegangenen: Auf ſeine Anregung iſt dieſes Haus entſtanden, auf ſe ine Anregung iſt dem Hauſe die Form gegeben, die — völlig neu in Norddeutſchland — ſo zweck⸗ mäßig den Zielen des Schillertheaters angepaßt iſt und ihnen dient, ihm und ſeiner klugen Arbeit danken wir es, wenn hier an dieſer Stätte der kaſtaliſche Quell ſo lebensvoll ſprudelt, an dem Tauſende Erfriſchung finden, ih m und ſeiner unübertroffenen Organiſationsgabe danken wir es, daß wir auch nach ſeinem Hinſcheiden mit ruhiger Zuverſicht auf die Zukunft und Entwickelung des von ihm feſt gegründeten Werkes vertrauen dürfen. Es war ein ſteiniger, langer Weg, der Weg von der von ihm gegebenen erſten Anregung bis zum Bau dieſes Hauſess, ein Weg durch manchen ſchweren Kampf; und gar oft ſchien es, als ob er nicht zum Ziele führen werde. Aber Loewenfeld verzagte nie, er zweifelte niemals am glücklichen Ausgang, und er wußte die in ſeiner Seele für die Sache glühende Begeiſterung auch bei den Männern zu entfachen, die mit ihm Schulter an Schulter kämoften. Und ſo führte der höchſt ſteinige Weg doch zum Siege. In jenen Kämpfen, in jener hoffnungsfreudigen, zähen Arbeit haben wir Raphael Loewenfeld kennen und hochachten und lieben gelernt. In der Seele dieſes eigenartigen, von Gott hoch⸗ begnadeten Mannes lebte neben dem feurigen idealen Sinn des Künſtlers, des Gelehrten und Philo⸗ ſophen der praktiſche Sinn des ſcharfblickenden Kaufmanns und Geſchäftsmanns: Eine Miſchung, wie ich ſie nie wieder in einem Menſchen ſo glücklich vereinigt gefunden habe. Da liegt die Erklärung für ſeine großen Erfolge. Dieſe Gaben ſtellte er in den Dienſt ſeiner unverſieglichen Liebe zum Volk, deſſen moraliſche Kraft zu beben und zu mehren, dem im materiellen Zeitalter das Ideal zu be⸗ wahren, das letzte Endziel all' ſeines Strebens war. Die Bühne ſeines Schillertheaters, welche die tiefſten und beſten Gedanken der größten Dichter unſeres Deutſchen und der anderen Kultur⸗ völker durch das Trauerſpiel und Schauſpiel unſerem Volke vermitteln ſollte, welche ihm daneben aber auch durch das Luſtſpiel, ja auch durch die gute Poſſe das befreiende Lachen in die Seele ſenken ſollte, dieſe Bühne betrachtete er mit Schiller als „eine moraliſche Anſtalt“. Zum Bekenntnis deſſen entnahm er aus einer Vorleſung Schillers über das Thema: „Die Schaubühne als eine moraliſche An⸗ ſtalt betrachtet“ folgende Worte: „So gewiß ſichtbare Darſtellung mächtiger wirkt, als toter Buchſtabe und kalte Erzählung. ſo gewiß wirkt die Schaubühne tiefer und dauernder als Moral und Geſetze.“ Und dieſe Worte brachte er „für jeden ſichtbar, als ornamentale Inſchrift in den Wandel⸗ gängen unſeres Theaters an, damit jeder erkenne, in welchem Geiſte er mit uns dies Haus errichtete, in welchem Geiſte er die Arbeit in ihm getan wiſſen wollte. Die Pflicht der Ueberlebenden wird es ſein, dafür unabläſſige Sorge zu tragen, daß die Bühne dieſes Hauſes immer dieſen Worten wert bleibe. Raphael Loewenfeld iſt nicht mehr. — Aſche zu Aſche, Staub zu Staub iſt er hingeſunken. Und doch iſt er auch nach ſeinem Tode in uns und um uns lebendig, und wird es bleiben. Sein Geiſt lebt in ſeinen Werken, er ſtirbt nicht. Undder Segen, den dieſer tapfere, unvergleichliche Mann bei ſeinen Lebzeiten verbreitet hat, er wird weiter wirken in ſeinen Werken. Seine Schöpfungen aber ſind ihm ein unvergänglich Denkmal, dauernder als Erz. Have pia anima!“ An Stelle des Verſtorbenen iſt der bisherige Oberregiſſeur des Schillertheaters Mar Pategg zum Direktor gewählt worden. 9 Die bauliche Aufſicht über das Schillertheater iſt dem Hochbauamt II übertragen worden. Die Stadtgemeinde hat die von der Schillertheater⸗Aktiengeſellſchaft ſ. 3t. miet⸗ weiſe beſchaffte elektriſche Notbeleuchtung im Werte von etwa 6000 ℳ für den Preis von 5073 käuflich erworben. Der Kaufpreis wird von der Geſellſchaft in monatlichen Raten von 200 ℳ an die Stadtgemeinde zurückerſtattet. Die Notbeleuchtungsanlage gilt als mit⸗ vermietetes Zubehör des Theaters.