— 221 — ohne Vorbild lediglich verſuchsweiſe vorzugehen, ſind jetzt genügend umfangreiche Erfahrun⸗ gen angeſammelt, um auf gefeſtigterem Boden weiterzuſchreiten. Daß übrigens der zahlenmäßigen Methode gegenüber ſchon deshalb Vorſicht geboten iſt, weil ſelbſt größere Fortſchritte durch ſie bei der Kürze der Beobachtungszeit nicht eindeutig gefaßt werden können, möge ein Beiſpiel erweiſen. Das Hauptziel der Charlottenburger Säuglingsfürſorge ging von Anfang an dahin, für das Selbſtſtillen der Mütter zu wirken, da die Zahl der ihre Kinder nährenden Müter in Groß⸗Berlin erſchreckend klein ge⸗ worden war. In den Berichten der Vorjahre iſt wiederholt betont worden, daß die Ergebniſſe in dieſer Hinſicht durch die Tabellen der Säuglingsfürſorgeſtellen verhältnismäßig ſchwer ſich erweiſen laſſen. Und dennoch ergibt jeder Beſuch der Fürſorgeſtellen, daß dieſe hier erfolgreich wirken. In jeder Sprechſtunde können Fälle vorgeführt werden, in denen es der vereinten Sorgfalt der Aerzte und Schweſtern gelungen iſt, Mütter zum längeren erfolgreichen Stillen zu bewegen, welche ſchon verzagt im Begriff waren es einzuſtellen. Ja in einer Reihe von Fällen gelang es, die ſchon aufgegebene Bruſtnahrung wieder in Gang zu bringen und das ſogar nach verhältnismäßig längerem Stillſtande. Im Verwaltungsberichte für das Jahr 1908 wurde ganz ausführlich auseinander⸗ geſetzt, daß in Charlottenburg der Kampfgegen die Säuglingsſterblichkeit ſich nicht auf die ärztliche Beratung der Kinder beſchränkt, ſondern ſchon vor der Geburt einſetzt, die Geburt überwacht und nach ihr mit verſtärkter Fürſorge ein⸗ greift; daß ferner der Grundſatz befolgt wird, die Fürſorgebedürftigen heranzuziehen und die Erreichung der beſtehenden Einrichtungen ſo leicht zu machen als nur irgend möglich. Im Berichtsjahre iſt in der Verfolgung dieſer Grundſätze die Zahl der beſtehenden Einrichtungen um zwei erweitert worden. Die Säuglingsfürſorgeſtellen hatten ihre Tätigkeit bisher auf die Kinder im erſten Lebensjahre beſchränkt. Nur einzelne Kinder, bei denen nach ärztlichem Ermeſſen eine be⸗ ſondere Aufſicht über das erſte Lebensjahr hinaus notwendig erſchien, waren weiter dort vorgeſtellt worden. Den Kindern im erſten Lebensjahre wurde hierdurch eine umfaſſende Fürſorge zuteil: auf der andern Seite ſetzte mit dem vollendeten ſechſten Lebensjahre er⸗ neut eine ſorgfältige Ueberwachung durch die Schulärzte ein: Für die 3wiſchenzeit da⸗ gegen, für das Alter zwiſchen ein und ſechs Jahren, klaffte ein Lücke: für ſie fehlte es an jeder Ueberwachung und Fürſorge. Gerade in dieſer Altersſtufe aber werden die Grundlagen für die körperliche und geiſtige Entwickelung gelegt, gerade in ihr auch die Keime zu manchen ſpäteren ſchweren Erkrankungen aufgenommen. Gerade für dieſe Altersſtufe war daher eine ſorgfältige ärztliche Ueberwachung dringend geboten. Durch die Unterlaſſung der Fürſorge für dieſes Jugendalter beſtand die Gefahr, daß durchvermeidbare Erkrankungen die Er⸗ rungenſchaften der Säuglingsfürſorge wieder verloren gingen. Dieſen Verluſt zu verhüten, bedurfte es daher der Erweiterung der Fürſorge auf die nächſtfolgenden Altersklaſſen. Die ſtädtiſchen Körperſchaften haben deshalb beſchloſſen, vo m 1. April 1911 ab verſuchsweiſe in jeder Säuglingsfürſorgeſtelle eine beſondere Wochenſprechſtunde für Kinder vom vollendeten erſten bis zum vollendeten ſechſten Lebensjahre einzurichten. In dieſen Sprechſtunden werden in regelmäßigen Zwiſchenräumen zunächſt ſolche Kinder, die bis zum vollendeten erſten Lebens⸗ jahre bereits die Fürſorgeſtelle beſucht haben, weiter vorgeſtellt. Zugelaſſen zu dieſen Sprech⸗ ſtunden werden jedoch alle Kinder im Alter von 1 bis 6 Jahren, auch wenn ſie die Säuglings⸗ fürſorgeſtellen vorher nicht beſucht haben. Mütter und Pflegemütter erhalten in dieſen Sprech⸗ ſtunden unentgeltlichen ſpezialärztlichen Rat über die für das Gedeihen des Kindes gebotenen aec t und die Vermeidung von Schädlichkeiten. Eine Behandlung findet auch hier nicht ſtatt. Den Müttern und Pflegemüttern, die zugleich einen Säugling und ein größeres Kind in den Fürſorgeſtellen vorſtellen wollen, iſt ausnahmsweiſe nachgelaſſen worden, auch die größeren Kinder in der Säuglingsſprechſtunde mitvorzuſtellen. Für jedes die Fürſorgeſtellen beſuchende Kind wird mit dem vollendeten erſten Lebens⸗ jahre ein Geſundheitsſchein angelegt, der bis zum vollendeten 6. Jahre weitergeführt und dann durch Vermittlung des Statiſtiſchen Amtes an den Schularzt weitergegeben werden ſoll. Bei einer großen Zahl von Kindern wird ſo vom Säuglingsalter ab bis zur Schulzeit, die Schulzeit hindurch und ſpäter vielleicht auch durch die Fortbildungsſchulzeit hindurch eine tunlichſt lückenloſe Beobachtung in geſundheitlicher Beziehung möglich werden, die ſich hoffent⸗ lich als dauernd nutzbringend erweiſen wird. Es iſt ferner zunächſt mit der Fürſorgeſtelle IV, Nehringſtraße 11, eine kleine für zehn Kinder beſtimmte Säuglingskrippe verbunden, worden, die von der Fürſorgeſtelle aus verwaltet und ärztlich beaufſichtigt wird. In ihr ſollen möglichſt Kinder ſolcher ledigen Mütter Aufnahme finden, die tagsüber auf Arbeit gehen und ihr Kind ſelbſt ſtillen. Den Müttern ſoll ſo ermöglicht werden, mit ihren Kindern zuſammenzubleiben, ſtatt ſie in Pflege zu geben, für die Kinder aber, ſoweit erreichbar, die Bruſtnahrung geſichert werden. Die Krippe ſoll ſo zugleich einen Erſatz für die anderwärts beſtehenden ſogenannten „Still⸗ ſtuben“ in Fabriken bilden, deren Einrichtung ſich bisher in Charlotetnburg nicht hat ermög⸗ lichen laſſen. Es ſollen ferner dieſer Krippe ſolche an Verdauungsſtörungen leicht erkrankte Kinder für kurze Zeit zugeführt werden, die noch nicht einer Krankenhausüberweiſung, wohl aber einer ſachverſtändigen ſtändigen Ueberwachung der Koſt bedürfen.