— 229 — Urſache der Sommerſteigerung der Säuglingsſterblichkeit, die im Sommer 1911 in einzelnen deutſchen Städten ganz außerordentlich hoch war. In die Behandlung der Stadt⸗ ärzte kamen 933 Fälle an Brechdurchfall gegen 889 des Vorjahres mit kühlem Sommer. Die Steigerung iſt alſo ganz unerheblich. Daß zpieſe Erſcheinung keine zufällige iſt, ſondern mit der Organiſation der Säuglingsfürſorge zu⸗ ſammenhängt, iſt in dem Berichte über dieſe ausführlich begründet; die verhältnismäßig ge⸗ ringe Zahl der Erkrankungen und ihr meiſt gutartiger Verlauf wird aber auch in allen Be⸗ richten der Stadtärzte mit Beſtimmtheit hervorgehoben, und deren Urteil fällt um ſo mehr ins Gewicht, als ſie zugleich Ziehkinderärzte ſind und daher an dieſen Kindern, die alle in der Obhut der Säuglingsfürſorge ſtehen, Vergleichsobjekte haben. So ſagt ein Stadtarzt, deſſen Bezirk im Norden der Stadt liegt: „Die Säuglingsbeſtrebungen der Stadt hapen in dem überaus heißen Sommer ihre Feuerprobe glänzend beſtanden. Die Säuglingsſterblichkeit war ſehr gering: 4 Todesfälle bei 116 erkrankten Säuglingen. An Krankheiten der Verdauungsorgane iſt kein Todesfall im Säuglingsalter vorgekommen. Es iſt dies zum guten Teil darauf zurückzu⸗ führen, daß die Leute durch die Fürſorgeſtellen angewieſen werden, ſchon bei der leichteſten Störung zweckmäßig zu verfahren.“ Ahnlich lauten viele andere Berichte. Von der den Stadtärzten erteilten Genehmigung, in geeigneten Fällen von Organ⸗ erkrankungen auch außer den Augenerkrankungen, für deren Behandlung ſeit Jahren ein be⸗ ſonderer Stadtaugenarzt angeſtellt iſt, Spezialärzte nach eigener Wahl zuzuziehen, wurde im allgemeinen ein maßvoller Gebrauch gemacht; von Intereſſe hierbei iſt, daß in der Hälfte aller Fälle von Überweiſungen an Spezialärzte es ſich um Ohren⸗, Naſen⸗ und Rachenerkrankungen handelte. Was die allgemeinen hygieniſchen Verhältniſſe betrifft, ſo wird von mehreren Stadtärzten der ungünſtige Einfluß der Nahrungsmittelteuerung auf die Lebens⸗ haltung hervorgehoben; Hieraus begründete ſich die Notwendigkeit im größeren Umfange Milch zu verordnen, auch an ſchwächliche oder unterernährte Schulkinder, die von den Schul⸗ ärzten überwieſen wurden. uber die Wohnungsverhältniſſe lauten die Urteile übereinſtimmend mit denjenigen der Vorjahre; im allgemeinen wer den ſie, namentlich in den neueren Häuſern, als günſtig bezeichnet und die beobachteten Mißſtände auf die durch Not und Unverſtand hervorgerufene unzweckmäßige Benutzung zuruckgeführt. In einigen älteren Häuſern beſtehen ſtarke Schäden fort. Die Tätiakeit des Wohnungsamtes kam im Berichtsjahre erſt einigen Stadtteilen zu Gute; hier aber konnte von den beteiligten Stadtärzten ſchon der allgemeine, beſonders auch der erziehliche Nutzen der Ein richtung feſtaeſtellt werden: freilich wird auch gelegentlich geklagt, daß die bauliche Abſtellung der gerügten Mißſtände zuweilen zögernd erfolgt. Von einigen Stadtärzten wird herv orgehoben, daß gerade in der ärmeren Be⸗ völkerung ungenügende Bekleidung und unzweckmäßige Beleuchtungsverfahren von Einfluß auf Entſtehung und Verlauf von Krankheitszuſtänden ſind und daß auch hier der erziehende Einfluß des Stadtarztes manche gute Wirkung haben kann, wie denn überhaupt einige Stadt⸗ ärzte alljährlich hervorheben, daß ſie ſich nicht nur als Berater in Krankheitsfällen, ſondern auch als Geſundheitserzieher gerade in dem Kreiſe der wirtſchaftlich Schwachen erfolgreich betätigten. Im Berichtsjahre wurde der vierte Stadtarztbezirk, deſſen Arbeitsgebiet zu groß geworden war, geteilt; es ſchied ferner am Schluſſe des Berichtsjahres Sanitätsrat Dr Braun⸗ ſchild auf ſeinen Antrag aus, der lange Jahre mit großem Eifer und großer Sachkenntnis erfolgreiche Tätigkeit ausgeübt hatte. Die frei gewordenen Stellen wurden zum Teil durch die Stadtärzte anderer Bezirke beſetzt; neu gewählt wurden die Herren Sanitätsrat Dr Fritze und Dr Fabian. Während die Tätigkeit des Stadtarztes im ſtädtiſchen Obdach ſich bisher auf Beſuche in Krankheitsfällen beſchränkte, ſtellte ſich im Berichtsfahre die Notwendig⸗ keit einer regelmäßigen geſundheitlichen Überwachung des Hauſes und ſeiner Inſaſſen her⸗ aus; mit der Wahrnehmung dieſer Aufgaben wurde der Stadtarzt des erſten Bezirks, zu dem das Obdach gehört, betraut.