— 23t — dem ſich zeigen werde, ob und inwieweit die Maßnahmen der Säuglingsfürſorge ſich be⸗ währten. Es ſind deshalb ſchon jetzt viele Arbeiten zur Prüfung dieſer Frage in Angriff ge⸗ nommen worden. So hat ganz kürzlich Profeſſor Kruſe in Bonn a. Rh. eine größere Unter⸗ ſuchung veröffentlicht, in der u. a. aus dem verſchiedenen Verhalten der deutſchen Großſtädte der Schluß gezogen wird, daß die geringe Sommerſterblichkeit der Säuglinge in einzelnen Städten, die, wie z. B. Charlottenburg, im Sommer 1911 ſich beſonders günſtig verhielten, nicht auf die getroffenen Maßnahmen der Säualingsfürſorge zurückgeführt werden dürften, ſondern überwiegend auf die guten ſozialen Verhältniſſe der Bevölkerung. Die obige Be⸗ hauptung, daß das „unfreiwillige Experiment“ des Sommers 1911 einen zwingenden Schluß auf die Zweckmäßigkeit der modernen Maßnahmen der Säuglingsfürſorge zuließe, muß be⸗ anſtandet werden. Wennaleich es feſtſteht, daß dieſe Maßnahmen in erſter Linie zur Ver⸗ minderung der Säuglinasſterblichkeit eingeführt wurden, ſo iſt in dieſen Berichten mehrfach und auch von anderer Seite wiederholt ausführlich begründet worden, daß die Säuglinas⸗ ſterblichkeit in den Fürſorgeſtellen und in der Geſamtbevölkerung, und daß ſelbſt die Er⸗ krankungsziffern keinen ausſchließlichen oder ſelbſt überwiegenden Maßſtab für die Erfolge der modernen Säuglingsfürſorge bilden, und zwar aus äußeren und inneren Gründen. Ein Teil der Todesfälle tritt ein, wenn die Kinder gar nicht mehr in Fürſorge ſtehen oder weil ſie gerade wegen der ſpäter tötlich endenden Krankheit aus ihr entlaſſen werden mußten. Ein anderer Teil der Säuglingstodesfälle, die durch Tuberkuloſe, akute Infektionskrankheiten, Ver⸗ letzungen hervorgerufen werden, iſt auch durch ie Fürſorge nicht zu verhüten, und wenn jene Forſcher Recht bekommen ſollten, die annehmen, daß ein großer Teil der Todesfälle der Säuglinge im Hochſommer durch die Überhitzung der Wohnungen verurſacht wird, ſo ließen ſich auch dieſe Tälle durch die Fürſorae nicht vermeiden: denn wäre die Sommerhitze, der Hauptfaktor der geſamten Säuglingsſterblichkeit, einer höheren Gewalt aleichzuſetzen, gegen die die bisherigen Maßnahmen der Säuglingsfürſorge, die das ganze Jahr wirtſam ſind, ver⸗ ſagen: dann aber bedürfte es gegen dieſe elementaren Kataſtrophen neuer Maßnahmen allge⸗ meiner Art zur Ergänzung der Säuglingsfürſorge, wie ſolche jetzt ſchon vorgeſchlagen werden. Immerhin muß zugeſtanden werden, daß, wenn auch die Sterblichkeitsverhältniſſe der Fürſorgekinder und der Geſamtbevölkerung nicht das ausſchließliche und entſcheidende Maß für die Erfolge der getroffenen ſozialhnaieniſchen Einrichtungen ſind, ſie doch zu deren Be⸗ urteilung namentlich durch den Vergleich mit mderen Städten wertvolle Anhaltspunkte geben. Und für eine ſolche Unterſuchung ſind die Beobachtungen des Berichtjahres gerade in Char⸗ lottenburg beſonders bedeutungsvoll, eben weil hier von der durch wirtſchaftliche und Woh⸗ nungsverhältniſſe beſonders gefährdeten Bevölkerng der überwiegend größere Teil der Säug⸗ linge, und zwar der ehelichen, wie auch der unehelichen, in längerer Beaufſichtigung durch die Fürſorgeſtellen ſteht. Die Notwendigkeit, die B eeinfluſſung der Säuglingsſterblichkeit durch die Sommerhitze des Jahres 1911 eingehend zu ſtudieren und die Ergebniſſe Charlotten⸗ burgs mit denen anderer Städte zu vergleichen, erſchien ſo dringend, daß ſchon im Winter 1911 in einer Sitzung der Säuglingsfürſorgeärzte beſchloſſen wurde, die Erfahrungen kliniſch und ſtatiſtiſch zuſammenzuſtellen und geſondert zu veröffentlichen. Dieſe Unterſuchung iſt dem Abſchluß nahe und wird demnächſt erſcheinen. An dieſer Stelle ſei unter Bezugnahm auf dieſe ſpätere ergehende Veröffentlichung nur folgendes hervorgehoben. Die Säuglingsſterblichkeit der Geſamtbe⸗ völkerung iſt, wie in ſo vielen anderen Städten, auch in Charlottenburg im Jahre 1911 gegenüber den unmittelbaren Vorjahren eine geſteigerte geweſen; dieſe Steigerung kommt cusſchließlich auf Rechnung der heißen Monate. Es ſtarben 836 gegen 695 des Vorjahres, davon in den Sommermonaten 263 gegen 180 und zwar an akuten Ver⸗ dauungskrankheiten 112 gegen 80. Von 100 Lebendgeborenen waren dies im ganzen Jahre 14,24 gegen 12,18 des Vorjahres, im Sommer 16,76 gegen 12,40. Aber ſchon ſehr frühzeitig erwies ſich, daß Charlottenburg und außer ihm noch einige wenige andere Städte, wie z. B. Königsberg i. Pr., Bremen u. a., auffallend günſtig bei dieſer Steigerung im Vergleich zu vielen anderen Großſtädten daſtanden. Schon im September 1911 veröffentlichte Kuczynski auf dem internationalen Kongreß für Säuglingsſchutz eine vorläufige Tabelle für die Zeit vom 23. Juli bis 26. Auguſt, nach der 3. B. Kiel 17,5, Barmen 20,5, Charlottenburg 21,4, Frankfurt a. Main 22,9% Sterblichkeit aufwieſen, während z. B. Schöneberg 25,9, Berlin 33,6, Hannover 37,5% zeigten, — da⸗ gegen Aachen 74,0, Chemnitz 78,0, Cöln 73,2, Düſſeldorf 58,7, Halle 71,3, Leipzig 88,0, Stettin 68,3/%. Spätere Zuſammenſtellungen nach genaueren Methoden haben dieſe ſtarken Unterſchiede nur vertieft. Da in einzelnen der genannten Städte mit beſonders hohen Zahlen die Säuglingsfürſorge ebenfalls gut organiſtert iſt, ſo ſtützten dieſe Ergebniſſe die von Meinert zuerſt verfochtene, jetzt von Rietſchel, Liefmann und Lindemann, Kathe u. a. vertretene Lehre, daß für die Sommerſterblichkeit die Uberhitzung der Wohnungen in erſter Linie verantwortlich zu machen iſt. In Charlottenburg jedenfalls iſt die Geſamtſterblichkeit im Sommer gegenüber den Vorjahren mit ihren immer kleiner werdenden Sommergipfeln zwar ge⸗ ſteigert geweſen, aber erheblich geringer geblieben als in den Sommern zu Anfang des letzten Jahrzehnts. Ohne das Zutreffen der Wohnungstheorie für viele Städte beſtreiten zu wollen, darf es für hieſige Verhältniſſe nicht als beſtätigt gelten; denn es hat ſich % 22