— 207 — 13. Maßregeln gegen die Lebensmittelteuerung. Die in den letzten Jahren ſtetig zunchmende Steigerung der Fleiſchpreiſe veran⸗ laßte die ſtädtiſchen Körperſchaften unterm 30. September 19. Oktober 1910 eine gemiſchte „Deputation für weitere Maßnahmen zur Linderung der Fleiſchnot für die Charlottenburger Bevölkerung“ einzuſetzen. Nach den Vorſchlägen dieſer Deputation wurde zunächſt beſchloſſen, von der Abſendung einer beſonderen Petition an die Reichsregierung Abſtand zu nehmen, weil der Vorſtand des Deutſchen Städtetages be⸗ reits am 24. Oktober 1910 einen ausführlichen Antrag an den Herrn Reichskanzler betreffend Maßnahmen zur Behebung der Fleiſchnot eingereicht hatte. Bei der Prüfung der Frage der Beſchaffung von Fleiſ ch für die hieſige Deutterng ſtellte es ſich aus grundſätzlichen und praktiſchen Erwägungen als unmöglich heraus, daß die ſtädtiſche Verwaltung durch Errichtung von Fleiſchverkaufsſtellen im eigenen Betriebe oder durch Einfuhr ausländiſchen Fleiſches oder auf irgend einem anderen Wege er⸗ folgreich zu einer Verbilligung der Fleiſchpreiſe beitragen könnte, denn die in anderen Städten gelegentlich gemachten Verſuche erwieſen ſich bei den hieſigen Verhältniſſen als nicht durch⸗ führbar. Es wurde daher beſchloſſen, von Verſuchen einer Einwirkung auf den Fleiſchmarkt abzuſehen. Günſtiger geſtalteten ſich dagegen die Verhandlungen über die Verſorgung der Be⸗ völkerung mit Seefiſchen. Nach einigen Verſuchen, zunächſt den ſtädtiſchen Angeſtellten den Bezug von Seefiſchen durch die Deutſche Dampffiſcherei⸗Geſellſchaft „Nordſee“ zu ver⸗ mitteln, führten die weiteren Verhandlungen zu dem Beſchluſſe, der „Nordſee“ vom 1. März 1911 ab auf der Grundlage eines Vertrages die Räume des Fleiſchſchauamts in der Spree⸗ ſtraße zum Zwecke der Veranſtaltung von Seefiſchverkäufen unter ſtädtiſcher Aufſicht unentgelt⸗ lich für einen Tag in der Woche zu überlaſſen. Das Ziel dieſer Einrichtung, die Bevölkerung zu einem größeren Verbrauch von Seefiſchen zu erziehen, um einen billigen und nahrhaften Erſatz für Fleiſch zu liefern, hatte die Belehrung der Bevölkerung über die zweckmäßigſten Formen der Zubereitung von See⸗ fiſchen zur Vorausſetzung; denn der Grund ihrer noch nicht genügenden Verwendung als Volksnahrungsmittel iſt vielfach ungenügende Kenams ihrer Zubereitung allein und in Verbindung mit pflanzlicher Zukoſt. Zu dieſem Zwecke wurden in den Schulküchen von ſechs in verſchiedenen Stadt⸗ teilen belegenen Schulen in der Zeit vom 6. bis 25. März und 6. November bis 1. Dezember 1911 an je einem Tage in der Woche durch genügend vorgebildete ſtädtiſche Lehrerinnen des Fortbildungsſchulweſens Seefiſch⸗Kochkurſe abgehalten. Die Kurſe waren gut beſucht, für jede Küche konnten bis zu 24 Teilnchmermmnen zugelaſſen werden. Die Koſten dieſer Kurſe haben rund 1000 ℳ betragen. Um die Bevölkerung ſtets ſelbſt in Kenntnis über die Lage des Fleiſchmarktes zu halten und ihr ſo ein Urteil über die in den Läden geforderten Fleiſchpreiſe zu ermöglichen, wurde das ſtatiſtiſche Amt angewieſen, regelmäßig in beſtimmten Zeiträumen durch den Preſſe⸗ dienſt Veröffentlichungen über die Preisverhältniſſe, getrennt nach Tierart, Fleiſchart und Beſchaffenheit, ſowie geſondert nach Schlacht⸗ und Marktpreiſen der Tagespreſſe zu übergehen. Da nach Schaffung dieſer Einrichtungen die Tätigkeit der gemiſchten Deputation beendet war, die Wichtigkeit der Frage aber eine ſtändige Weiterbearbeitung erforderte, wurde dieſe nichtſtändige Deputation ſelbſt aufgelöſt, die Behandlung der Frage der Volksernäh⸗ rung aber der Deputation für Geſundheitspflege als ſtändiges Arbeitsgebiet übertragen. Inzwiſchen hatten die Seefiſchverkäufe im Fleiſchſchauamt beim Publikum ſich ein⸗ geführt: es wurden 3—4000 Pfund an den einzelnen Tagen verkauft, am 5. April ſogar 5000 Pfund. Nachdem in den heißen Sommermonaten an verſchiedenen Verkaufstagen ein merk⸗ licher Rückgang des Abſatzes eingetreten war, wurde der Andrana im Herbſt, beſonders in den Vormittagsſtunden, wieder ſo ſtark, daß die Halle des Fleiſchſchauamts nicht genügend Raum für die Käufer bot. Wie im Frühjahr, ſo mußte auch jetzt wieder an den einzelnen Verkaufstagen zur Aufrechterhaltung der Ordnung der Raum mehrmals auf längere Zeit ge⸗ ſchloſſen werden. Die „Nordſee“ hatte bereits unterm 16. März gebeten, ihr die Genehmi⸗ tung zur Abhaltung des Seefiſchmarktes an zwei Tagen in der Woche zu erteilen, der Antrag murde aber damals abgelehnt, weil die Einrichtung noch zu neu war und infolgedeſſen nicht genügende Erfahrungen vorlagen und weil für den Sommer ein weſentlicher Rückgang de⸗ Abſatzes zu erwarten war. Nachdem aber die Verkaufsmengen im Herhſt wieder erheblich geſtiegen waren, beſchloſſen die ſtädtiſchen Körperſchaften unterm 13./27. September 1911, die 34