— 2469 — entſcheiden, welche Gruppen der an der Volksernährung beteiligten Gewerbe für die Verteue⸗ rung hauptſächlich verantwortlich zu machen ſeien. Denn auch für den nicht wahrſcheinlichen Fall, daß eine von der Stadt veranlaßte zeitraubende Unterſuchung zu einwandsfreien Schlußfolgerungen geführt hätte, blieb es ſehr fraglich, ob aus dieſen ſich praktiſche, von einer einzigen Stadt durchführbare Maßregeln hätten ableiten laſſen. Sie hielt es daher für wich⸗ tiger zu beraten, ob und wie die Folgen der Teuerung mit den Mitteln einer ſtädtiſchen Ver⸗ waltung überhaupt einer Milderung zugänglich ſind. Mit dieſer Stellungnahme hatte die Deputation aber keineswegs das Zutreffen der Folgerungen des Landwirtſchaftsminiſters in ſeinem Erlaß vom 26. September 1911 anerkannt, daß die Haupturſache der Steigerung, 4 der Preiſe für Schweinefleiſch, auf den Zwiſchenhandel und Kleinhandel zurück⸗ zuführen ſei. Die Deputation gewann die Ueberzeugung, daß überhaupt an der ungenügenden Ver⸗ ſorgung der großſtädtiſchen, weniger bemittelten Bevölkerung mit Nahrungsmitteln außer deren Teuerung noch andere Urſachen mit beteiligt ſind, daß deshalb der Gemeinde zur Mit⸗ wirkung bei der Bekämpfung der dauernden Teuerung noch andere Mittel zur Verfügung ſtehen, als der gegenwärtig ſehr zweifelhaft e und nirgends bisher mit anhaltendem Erfolg beſchrittene Weg der Uebernahme von derartigen wirtſchaftlichen Aufgaben in eigenen Be⸗ trieb. Schon ſeit geraumer Zeit hatten Volkswirte und Hygieniker darauf hingewieſen, daß an der Unterernährung großer Schichten der großſtädtiſchen Bevölkerung nicht bloß der hohe Preis vieler Nahrungsmittel ſchuld iſt, ſondern eben ſo ſehr eine unzweckmäßige Auswahl und Zuſammenſtellung, eine unzweckmäßige Zubereitung und unzweckmäßige Verteilung der Mahlzeiten. Die Koſten für die Ernährung des Arbeiters ſtehen oft genug nicht im richtigen Verhältnis zu deren Ausnutzbarkeit und Zweckmäßigkeit. Die großſtädtiſche Arbeiterfrau hat häufig entweder als früheres Dienſtmädchen in der Hauptſache nur feinere Küche oder als Fabrikarbeiterin den einfachen Haushalt überhaupt nicht erlernt; vielfach iſt ſie auch nicht in der Lage, eine zweckmäßige, ſchmackhafte, billige und doch nährende Mahlzeit zuzubereiten, weil ſie außer dem Hauſe arbeiten muß und die ihr übrig bleibende Zeit nur für die Her⸗ ſtellung eines einzigen ſchnell bereiteten, aber teueren Fleiſchgerichtes verwenden kann. Der unverheiratete Arbeiter dagegen iſt auf das Wirtshaus angewieſen, das hier zwar verhältnis⸗ mäßig billige Speiſen liefert, aber ſie oft ſo zuſammenſtellt und zubereitet, daß ſie zur Auf⸗ nahme alkoholiſcher Getränke anregen. Während aus den genannten Gründen die Un⸗ zweckmäßigkeit der Ernährung einer Arbeiterfamilie im Minderverbrauch wichtiger Nahrungs⸗ beſtandteile liegt, beruht ſie beim unverheirateten Arbeiter vielfach in einem Luxusverbrauch an tieriſchem Eiweiß. Zur Bekämpfung dieſer Mißſtände, welche dauernd fühlbar ſind und zum Teil die Unterernährung eines großen Teils der Jugend unſerer Gemeindeſchulen verſchulden, wurden von den ſtädtiſchen Körperſchaften unterm 17./18. Januar 1912 folgende Beſchlüſſe gefaßt: 1. Zur Errichtung von Kochkurſen ſür die minderbemittelte Bevölkerung zum Unterricht in der Herſtellung geſundheitlich und wirtſchaftlich zweck⸗ mäßiger Nahrungsmittel und zur Verabreichung von Proben der für dieſe verwendeten Rohſtoffe zum Selbſtkoſtenpreiſe wird eine Summe bis 7500%% bewilligt. Der Geſellſchaft für Volkskaffee⸗ und Speiſehallen in Berlin wird für die Errichtung einer Speiſehallle mit Zentralküche in Charlottenburg als dauernder Einrichtung eine einmalige Garantie für ein Jahr in Höhe bis zu 5000 ℳ bewilligt. 10 Die Kochkurſe als eine dauernde Einrichtung ſind bisher in der Zeit vom 1. Februar bis 13. März und vom 11. April bis 22. Mai 1912 in der Art der Seefiſch⸗ kochkurſe, die ſich überall und auch hier bewährt haben, in den Haushaltungsküchen ſtädtiſcher Schulen von ſtädtiſchen Lehrerinnen abgehalten worden. Es wurden in dieſen Küchen Vor⸗ träge gehalten über wirtſchaftlichen Einkauf, zweckmäßige Verwendung der einzelnen Nah⸗ rungsmittel und Fleiſchteile und deren Zuſammenſtellung, Heranziehung ſolcher Rohſtoffe, die nahrhaft, preiswert und wohlſchmeckend, aber zu Unrecht in den Hintergrund getreten ſind (3. B. Reis, aufgeſchloſſene Hafermehle, Buchweizen, Magermilch, kondenſierte Milch, Dörr⸗ gemüſe, Fiſchkonſerven). Es ſind ferner in dieſen Küchen auch alle diejenigen Apparate vor⸗ geführt worden, die im kleinen Haushalt die Herſtellung und Aufbewahrung der Mahlzeiten erleichtern, wie Gasautomaten, Kochkiſten uſw. Die Gaskocher hat die ſtädtiſche Gasanſtalr unentgeltlich zur Verfügung geſtellt. Jeder Kurſus dauerte drei Abende. In den Kurſen 11. April bis 22. Mai wurden neben anderen Gerichten auch Seefiſche gekocht. Die Teil⸗ nehmerinnen erhielten am dritten Abend ein Buch mit Kochrezepten unentgeltlich ver⸗ abfolgt. Die Kurſe waren durchweg gut beſucht. In den nächſten Kurſen, die vor⸗ ausſichtlich im Herbſt ſtattfinden, ſoll vorzugsweiſe Gemüſe gekocht werden. Die Verab⸗ reichung von Rohſtoffen bis zu 2 Kilogramm von jeder Sorte zum Selbſtkoſtenpreis hat ſich gut bewährt. Die Frühjahrskurſe haben rund 2500 ℳ gekoſtet.