— 9 — Am Sterbetage fand eine Sitzung des Magiſtrats ſtatt, in der der zweite Bürgermeiſter Dr Maier den Mitgliedern des Kollegiums von dem Hinſcheiden Nachricht gab. Es wurde beſchloſſen, dem Verſtorbenen auf ſtädtiſche Koſten ein Ehrenbegräbnis zu bereiten. In der am nächſten Tage ſtattfindenden Stadtverordnetenſitzung widmete Stadtverord⸗ neten⸗Vorſteher Dr Frentzel dem Verſtorbenen folgende tiefempfundenen Worte: „Meine Herren! In ſchmerzlichſter Trauer, in aufrichtig gefühltem Kummer tief erſchüttert verſammeln wir uns heute an der Stätte unſerer gewöhnlichen Arbeit. Der Mann, der ſeit dem 1. Februar 1899 an der Spitze unſerer ſtädtiſchen Ver⸗ waltung ſtand, und den wir mit Stolz auf dieſem Platze ſahen, iſt uns durch den Tod genommen worden. All die bangen Sorgen und Befürchtungen, die wir ſeit mehr als einer Woche um ihn empfinden mußten, ſind nicht unbegründet geweſen, und alle unſere Hoffnungen und Wünſche, die wir für ihn hegten, ſind unerfüllt geblieben. Eine jede Stunde hat ihr eigenes Recht, und das Recht dieſer Stunde wahrlich iſt es, um den Verluſt, den wir erlitten, zu klagen und offen mit unſerem Schmerze zu bekennen, daß wir wiſſen, was wir an dem Verſtorbenen verloren haben. Der Schlag iſt zu jäh und zu ſchnell auf uns herabgefallen, als daß in uns ſchon die ruhige Beſonnen⸗ heit Platz greifen könnte, die nötig wäre, um des Mannes ganzes Wirken in allen Punkten zu würdigen. Aber ehe wir uns an die Arbeit des heutigen Abends, dem Toten eine würdige Feier zu bereiten, begeben, geſtatten Sie, daß wir uns noch einen Augenblick bei dem Bilde aufhalten, das der Lebende in uns hinterlaſſen hat. Dieſes Bild war das einer ſtarken, machtvollen und charaktervollen Perſönlichkeit; es war das Bild, das auf jeden, der mit Schuſtehrus in Berührung kam, einen bedeutenden Eindruck machen mußte und machte. Und trotzdem war dieſer Eindruck ſtets ein wohltuender, ein ſolcher, der die Herzen und die Menſchen zu ſich heranzog und der ſchon im erſten Augenblick der Bekannt⸗ ſchaft Vertrauen und Offenheit erweckte. Denn bei aller Würde und Feſtigkeit, die Schuſtehrus unleugbar in hohem Maße beſaß, war doch der hervorſtechendſte Zug ſeines Weſens eine offene und freundliche Herzlichkeit, die nichts anderes war als der Ausdruck und der Abglanz ſeines wahren innerſten Seins. Denn der tiefſte Kern dieſes Menſchen war eine edle und offene, ſchöne und warme Menſchlichkeit und Nächſtenliebe. Er liebte die Menſchen und ihr Tun und Treiben. Darum war er auf den richtigen Platz geſtellt, auf den Platz, an dem er für Tauſende und Hunderttauſende ſorgen und ſchaffen konnte, mitten hinein in die Fülle werktätigen Werdens und Wachſens. Er liebte die Menſchen, und darum war er gerecht zu ihnen und achtete ſie, er achtete ſie, ob hoch oder niedrig. Er ſah in den vielen Hunderten, die in unſerem ſtädtiſchen Dienſt beſchäftigt ſind, niemals bloße Werkzeuge und Handlanger, ſondern er ſah in ihnen ſeine Mitarbeiter, Männer, die mit ihm an dem gleichen Ziele tätig ſind. Aber ſein warmes Herz ſchlug am wärmſten für diejenigen, die an der Not und Mühe dieſes Lebens am ſchwerſten tragen; denen ſtand er am nächſten, deren Sorgen und Mühen zu lindern und zu helfen, denen mit allen brauchbaren und an⸗ wendbaren Mitteln zu Hilfe zu kommen, war ſein ſtetes Sinnen und Trachten. Wir ſelber ſind in dieſem Saale oft genug Zeuge geweſen, wie warm und feurig er dann ſprechen konnte, wenn er als Sachwalter für dieſe Kreiſe unſerer Bevölkerung auftrat. Und wenn die ſtädtiſche Entwicklung der letzten 15 Jahre in dieſer Beziehung eine ganz beſtimmte, ausgeſprochene Tendenz aufweiſt, ſo iſt ſie untrennbar mit dem Namen Kurt Schuſtehrus verbunden. Aber er war auch ein Charakter, ein Mann durch und durch, von feſtem Wollen und von zielbemußtem Denken, bei dem die Menſchenliebe und die Nächſtenliebe nicht zu einem blutloſen und leeren Schemen wurde, ſondern der ſie umarbeitete zu einem durch und durch tüchtigen, kernigen und werktätigen Empfinden, das da wußte, daß man den Menſchen am beſten dann hilft, wenn man für ſie arbeitet. Und ſo arbeitete Schuſtehrus emſig und unabläſſig, mit ſeltener Treue, ſo ſtellte er die reichen Gaben ſeines Verſtandes und ſeines Geiſtes vom erſten bis zum letzten Tage in den Dienſt der Arbeit. So ruhte er denn auch nicht aus, als er nach ſeiner erſten Krankheit, nur ſcheinbar geneſen, wieder in unſere Mitte an die Stätte ſeines Wirkens trat, auch dann nicht, als die Schatten des Todes bereits auf ſeinen Lebensweg fielen. Mit nicht genug zu rühmender Energie ſuchte er aller körperlichen Schwächen Herr zu werden, ſuchte er alle die Hemmniſſe zu beſeitigen, die ihn daran hinderten, ſeinen Amts⸗ pflichten ſo nachzukommen, wie er es früher gekonnt hatte. Wir ſelbſt ſind bis in die letzten Tage hinein noch Zeugen dieſes rührenden Schauſpiels geweſen, deſſen Tragik wir damals allerdings nicht ahnen konnten. Der Tod war mächtiger als er: er hat ibn hinweggerufen mitten aus ſeinem Werk, mitten aus der Arbeit ſetzte er dem Nimmermüden ein zu frühes Halt. So ſchied er von uns, ſo ſchnell und plötzlich, daß keiner von ihm Abſchied nehmen konnte. Aber wir ſcheiden darum nicht von ihm; 140 in uns 0 in 4 2 Herzen lebt und wird leben das unauslöſchliche Gedächtnis an dieſen braven, wackeren und tüchtigen Mann. 2