Es kann ohne Übertreibung behauptet werden, ſehr viele Familien ihre Wohngelegen⸗ heit und ihre Wohnſitten aus eigener Kraft bedeutend Leeern Anen, an man * 414 Ten des Familieneinkommens für Getränke fortgeworfen würde. Damit ſoll natürlich nicht geſagt ſein, daß man in der Hoffnung auf die größere Nüchternheit die wohnungsreformatoriſchen Bemühungen irgendwie verringern könnte, ſondern nur, daß die Bekämpfung des Al koholmißbrauchs nicht nachdrücklich genug betrieben werden kann. Es handelt ſich hierbei nicht darum, dem Familienvater ein Vergnügen zu nehmen, ſondern darum, die ganze Familie vor dem wirtſchaftlichen und meiſt auch moraliſchen Niedergang zu bewahren; und gerade die ſittliche Bewahrung der Kinder iſt nicht zum kleinſten Teile von den Wohnungsverhältniſſen abhängig. Erſchwert wird der dauernde Erfolg im Kampfe gegen den Alkoholmißbrauch allerdings durch die wiederkehrenden Etappen auch unverſchuldeter Arbeitsloſigkeit, zumal im Winter, da die meiſten dieſer Männer Gelegenheitsarbeiter ſind. Aufgabe der Wohnungspflegerin war es vor allem, als Menſch feſten Fuß in den Familien zu faſſen und zu verſuchen, die Urſachen der wirtſchaftlichen Notlage aufzudecken: Krankheit, Unwirtſchaft⸗ lichteit, Unordnung, Stumpfſinn, Torheit, Kummer über Mann oder Kinder uſw. Nicht ſelten wären die Bemühungen der Wohnungspflegerin vergeblich geweſen, wenn ſie in der Arbeit allein geſtanden hätte. In einigen typiſchen Ar m enpflegefällen wurde die Hilfe der Armendirektion in An⸗ ſpruch genommen, beſonders zur Abgabe von Betten. Grundſätzlich wurde hierbei davon abgeſehen, Familien nur aus wohnungspflegeriſchen Gründen mit der Armendirektion in Verbindung zu bringen. In den Fällen, wo dieſe deshalb nicht in Anſpruch genommen werden ſollte, gab entweder das Woh⸗ nungsamt ſelbſt aus ſeinen Mitteln leihweiſe Betten her, oder es vermittelte ſolche durch Vereinshilfe. In einem Falle gelang es, aus öffentlichen Stiftungsmitteln einen für anderthalb Jahre laufenden Mietszuſchuß zu erlangen, durch den es der ſehr ordentlichen und fleißigen Familie er⸗ möglicht wurde, aus der überfüllten Wohnung auszuziehen, in der neuen Wohnung die notwendige Bettenzahl aufzuſtellen und die Geſchlechtertrennung durchzuführen. Leider reichten die öffentlichen Mittel bei weitem nicht aus, um öfter in dieſer Weiſe zu helfen. Darüber, daß auch fleißige und ordent⸗ liche Eltern des Arbeiterſtandes bei größerer Kinderzahl im allgemeinen nicht in der Lage ſind, die not⸗ wendige Anzahl Räume für die notwendige Anzahl Betten zu mieten, kann kein Zweifel ſein, zumal bei dem beſtehenden Mangel an Kleinwohnungen; Krankheit und Arbeitsloſigkeit machen zu oft einen Strich durch die Verdienſtrechnung. Die viel geſchmähte „gute Stube“ findet man deshalb bei ihnen auch faſt nie; eher bei den Feſtbeſoldeten. Wo ſie zum Nachteil der Geſundheit und Sittlichkeit gehalten wird, muß leider darauf beſtanden werden, ihre Mitbenutzung zum Schlafen durchzuſetzen. Leider, weil es an ſich ein berechtigtes Bedürfnis und tein Zeichen von Unkultur iſt, wenn der Menſch ſich irgendwo einen Fleck zu ſchaffen ſucht, an dem er der nüchternſten Alltäglichkeit entzogen iſt, wo er auch Freude an den Dingen haben kann, mit denen er ſeine Wohnung ſchmückt. Bei manchen Familien iſt allerdings auch Eitelkeit, der Wunſch vor anderen mehr zu ſcheinen, als man iſt, der Beweggrund, eine gute Stube zu halten. Für den Erfolg im Kampfe mit den eigentlichen Benutzungsmängeln der Wohnung, der ungeeigneten Wartung und Behandlung der Kinder, der unzweckmäßigen oder auch unſorgfältigen Führung des Haushaltes iſt die Bauweiſe der Wohnungen ein großes Hindernis. So könnten z. B. die Frauen der immer wiederholten Aufforderung zum Lüften leichter nachkommen, wenn die Klein⸗ wohnungen in der Küche und in den Stuben obere Kippflügel (Klappfenſter) beſäßen, die ohne Gefahr für die Kinder offen ſein können. Gegen das Waſchen und Trocknen größerer Stücke in Küchen und Korridoren wird man ſo lange ziemlich vergeblich eifern — wenigſtens in kinderreichen Familien — als 20 und mehr Parteien auf eine Waſchküche und einen Trockenboden angew ieſen ſind, für deren Benutzung noch ein beſonderer Entgelt erhoben wird. Der völlige Mangel an jedem Nebenraume zur Aufbewahrung von Sachen und zum Abſtellen von Reinmachegegenſtänden verteuert und erſchwert die Wirtſchaftsführung, und die große Engigkeit der Korridore — falls dieſe überhaupt vorhanden ſind — bedingt eine noch ſtärkere Uberfüllung der ſchon ſtark belegten Räume mit Schränken und Kleiderregalen. Die unzweckmäßige Verwendung des Einkommens und die mangelhafte Ernährung der Familie ferner wird befördert durch die Unmöglichkeit, ſelbſt kleine Vorräte oder Speiſereſte in der Wohnung aufzubewahren und vor dem Verderben zu ſchützen. Der tägliche, oft ſehr eilige Einkauf in fleinen und kleinſten Mengen von der Hand in den Mund iſt nicht nur an ſich teuer, ſondern er verleitet auch zu unbedachten Ausgaben durch den beſtändigen Anreiz der Geſchäftsauslagen und Anpreiſungen. Die meiſt fehlende Badegelegenheit beeinträchtigt die Sauberhaltung des Körpers, beſonders bei kleineren Kindern, die die öffentlichen Badeanſtalten noch nicht benutzen können. Der geringe Vor⸗ rat an Waſchtiſchen und Schüſſeln — ob aus Platzmangel oder aus Gewohnheit, ſei dahin geſtellt — erweiſt ſich beſonders als Mangel, wenn Schlafgänger gehalten werden. Wirtſchaftlichkeit und Sparſamkeit, Ordn ung und Sauberkeit werden eben durch die Be⸗ ſchaffenheit der Wohnungen an ſich ſehr oft erſchwert, jedenfalls bei größerer Kinderzahl, womit keines⸗ wegs die völlige hauswirtſchaftliche Unbrauchbarkeit mancher Frauen geleugnet oder die ſtaunenswerten Leiſtungen anderer verſchwiegen werden ſollen. Bedeutend abgeſchwächt werden könnten die Schattenſeiten der jetzigen Wohnweiſe auch durch Wohnungsergänzungen, die beſonders der Geſundbeit der Mütter und Kinder zuſtatten fämen. Dazu gehört die Vermehrung der Krippen, Horte, Kindergärten und Jugendheime, der Spiel⸗ plätze mit Schutzhallen uſw. Auch müßte der Verfuch gemacht werden, das Laubenweſen ſyſtematiſch auszugeſtalten. Zur Unterſtützung der Arbeit der Wohnungspflegerin wurden vor allem das ſtädtiſche Fürſorgeamt für Lungenkranke mit der . vom Roten Kreuz, die ſtädtiſche Für⸗ ſorgeſtelle für Alkoholkrante, die Vereinigung der Wohltätigkeit ebungen mit den ihr angegliederten Abteilungen für Jugendfürſorge und Jugendgerichts hilfe, die Scheiferianen des Jugendheims, die Säuglingsfürſorge und die Generalvormundſchaft in Anſpruch genommen. um den Verkehr mit dieſen Einrichtungen zu beſchleunigen und die notwendigen näheren Angaben über die betreffenden Familien zu erhalten, wurde meiſt mündlich verhandelt. Mehrfach wurden im Anſchluß an dieſe gegenſeitigen Informationen gemeinſame Hilfs⸗ oder Erziehungsmaßnahmen in die Wege geleitet. 8 Dieſe gemeinſame Arbeit mit den Organ en anderer Wohlfahrtseinrichtungen kann für den Erfolg der wohnungspflegeriſchen Tätigkeit gar nicht hoch genug angeſchlagen werden. Mehrfach hatte die Wohnungspflegerin dadurch ſchon vor oder gleich im Anfang der UÜbernahme eines Pflegefalles eine genaue Kenntnis der wirtſchaftlichen und oft auch der ſittlichen Verhältniſſe in einer Familie, für deren Erforſchung ſie ſonſt eine monatelange mühſelige Arbeit hätte aufwen⸗