Druckſache Nr. 503. Vorlage betr. Errichtung einer Schulzahn⸗ klinik. Urſchriftlich mit 2 Heften an die Stadtverordneten⸗Verſammlung mit dem Antrage, zu beſchließen: 1. Der Einrichtung einer Schulzahnklinik zum 1. April 1908 wird zugeſtimmt. 2. Die laufenden Koſten in Höhe von 12500 . ſind in den Etat für 1908 einzuſtellen. 3. Zu einmaligen Ausgaben ſind 8600 ℳ, dem Dispoſitionsfonds für 1907 zu entnehmen. Seit Jahrzehnten wird lebhafte Klage geführt über die ſchlechte Beſchaffenheit der Zähne bei Schülern und Schülerinnen. Mehr als 90 % aller Schulkinder leiden, wie durch ſtatiſtiſche Erhebungen in verſchiedenen Orten feſtgeſtellt iſt, an Erkrankungen der Zähne. Die Folge hiervon iſt, daß die ganze Entwickelung des Kindes ungünſtig beeinflußt wird, da der Blutarmut, der Bleichſucht, der Skrofuloſe und mancherlei Infektionskrankheiten durch kranke Zähne Vorſchub geleiſtet wird. Selbſt die Tuber⸗ kuloſe ſoll nach ſachverſtändigem Urteil häufig ihre letzte Urſache in den kranken Zähnen finden. Für die Schule beſtehen die nachteiligen Folgen kranker Zähne — abgeſehen davon, daß durch den Fäulnisgeruch kranker Zähne die Luft des Klaſſen⸗ zimmers verſchlechtert wird, — vornehmlich darin, daß die betreffenden Kinder durch Zahnſchmerzen oft verhindert ſind, dem Unterricht aufmerkſam zu folgen und nicht ſelten ſogar genötigt ſind, der Schule auf Stunden oder Tage gänzlich ſernzubleiben. Hierzu kommt, daß durch die körperliche Unpäßlich⸗ keit auch die gedeihliche Entwickelung des Geiſtes beeinträchtigt wird. Bei Kindern mit häufigen Zahn⸗ ſchmerzen läßt die Aufmerkſamkeit zu wünſchen übrig und die Spannkraft des Geiſtes mird allmäh⸗ lich geringer. Zur Einſchränkung dieſes Uebels haben bisher die Behörden und die Lehrer belehrend und ermahnend auf Eltern und Kindern einzuwirken ver⸗ ſucht, aber ohne nennenswerten Erfolg. Auch die Bemühungen der Schulärzte, welche immer wieder die ſchlechte Beſchaffenheit der Zähne feſtſtellten und den Eltern davon Mitteilung machten, konnten bei der Gleichgültigkeit und der Verſtändnisloſigkeit weiter Kreiſe die nötige Abhilfe nicht bringen. Selbſt der Hinweis auf die Unentgeltlichkeit der Behandlung in Univerſitätskliniken u. a. übte nicht die gewünſchte Wirkung aus. Dieſe allgemein beobachtete Tatſache hat den Gedanken nahe gelegt, daß neben der Belehrung auch für die Behandlung der Zähne geſorgt wer⸗ den müſſe, wenn das Übel erfolgreich bekämpft wer⸗ den ſolle. weder kann mit einigen Zahnärzten im Nebenamt ein Vertrag abgeſchloſſen werden über die unentgelt⸗ liche Behandlung einer gewiſſen Zahl von Schülern, oder es wird eine Schulzahnklinik für alle errichtet. Während in kleineren Städten ja nur die erſtere Art möglich iſt, haben die meiſten großen Städte der letzteren den Vorzug gegeben, ſowohl im Intereſſe einer einheitlichen Behandlung und planmäßigen Durchführung als auch wegen der beſſeren Kontrolle. Bahnbrechend iſt hierbei die Stadt Straßburg vor⸗ gegangen, beraten durch Profeſſor Dr Jeſſen, den gegenwärtigen Direltor der dortigen ſtädtiſchen Schulzahnklinik. Die Erfolge waren überaus günſtig, je länger, je mehr kommen die Kinder willig zur Klinik. Bei füberein. Zwei Wege kommen in Betracht: ent⸗ 692 — — den Behandelten wurden die Zahnſchmerzen beſeitigt, auch der Appetit hob ſich, Kopfweh, Ohren⸗ und Magenſchmerzen ſowie Müdigkeit verſchwand en, und der üble Mundgeruch hörte auf. rzte, Eltern und Lehrerſchaft ſtimmen in dieſer günſtigen Beurteilung Der Kreisſchulinſpektor Motz in Straßburg erklärt, „daß die Unterſuchungen der Zähne der Schul⸗ kinder ſowie die Errichtung von Schulzahn⸗ kliniken im Intereſſe der Schule — der Kinder und der Lehrer ſowohl als des Unterrichts⸗ erfolges — liegen und die Beſtrebungen auf dem Gebiete der Zahnhygiene ſeitens der Schul⸗ behörde weiteſtgehende und nachdrücklichſte Unter⸗ ſtützung erfahren ſollten.“ In Charlottenburg liegen die Verhältniſſe nicht günſtiger als in anderen Städten. Die Schuldepu⸗ tation hat ſich daher veranlaßt geſehen, der Frage, wie man die durch die ſchlechten Zähne drohenden Gefahren wirkſam bekämpfen könne, näher zu treten. Sie unterbreitete uns den Antrag, eine Schulzahn⸗ klinik nach dem Straßburger Muſter Oſtern 1908 ins Leben zu rufen. Wir haben uns von der Not⸗ wendigkeit energiſcher Abhilfe überzeugt und dem Vorſchlage zugeſtimmt. Wir glauben, daß durch ein Zuſammenarbeiten von Schule und Klinik am beſten eine rationelle zahnärztliche Behandlung durchgeführt und dem Ubel mit gutem Erfolg entgegengetreten werden kann. 2 Zur Unterſuchung und Behandlung ſollen all⸗ mählich ſämtliche Kinder der Gemeindeſchule und des Kindergartens zugelaſſen werden. Die Unterſuchung ſoll auch während der Schulzeit erfolgen dürfen. Die Behandlung wird tunlichſt in die ſchulfreie Zeit zu verlegen ſein. Nach den in Straßburg gemachten Erfahrungen iſt die Summe der durch die Unter⸗ ſuchungen und den Beſuch der Klinik verſäumten Schulſtunden geringer als die Zahl der Stunden, welche ſonſt in Folge der Zahnſchmerzen und der Begleiterſcheinungen erkrankter Zähne verſäumtwurden. Die Behandlung iſt unentgeltlich. Sie ſoll im weſentlichen konſervativ ſein, d h. ſich auf die Füllung und Pflege erkrankter Zähne erſtrecken; nur wo das nicht mehr angeht, erfolgt Entfernung. Die Einſetzung künſtlicher Zähne oder Gebiſſe iſt nicht beabſichtigt. Ein Zwang zur Behandlung kann nicht ausgeübt werden, indeſſen ſoll die Schule durch Belehrung und Ermahnung der Eltern und Kinder auf eine möglichſt allgemeine Inanſpruchnahme der Klinik hinarbeiten. Auch wird inſofern ein gewiſſer Druck auf die Eltern und Kinder ausgeübt werden können, als zur Aufnahme in die Waldſchule, die Walder⸗ holungsſtätte, die Ferienkolonie und den Kindergarten nur Kinder ohne kranke Zähne zugelafſen werden. Da in dem in erſter Reihe in Betracht kommen⸗ den alten Krankenhauſe Kirchſtraße 19/20 Räume leider nicht zur Verfügung ſtehen, haben wir für die Klinik ein Stockwerk des Hinterhauſes Bismarck⸗ ſtraße 22 in Ausſicht genommen. Das Haus iſt ziemlich zentral gelegen und bietet Raum genug für für ein Wartezimmer, zwei Operationszimmer, ein Spülzimmer, auch ein Laboratorium und ein Arzt⸗ zimmer. Dem Bedürfnis dürfte damit für eine Reihe von Jahren genügt ſein. Zur Behandlung ſind approbierte Zahnärzte in Ausſicht genommen, die ihre ganze Kraft der Anſtalt zur Verfügung zu ſtellen haben. Nach unſerer Schätzung dürften zunächſt 1 Oberarzt und 1 Aſſiſtenz⸗ arzt genügen, deren Anſtellung auf Privatdienſt⸗ vertrag zweckmäßig erſcheint.