—— 524 —— Die ungünſtigen Verhältniſſe auf dem Wirt⸗ ſchaftsmarkt haben naturgemäß auch auf den Armen⸗ etat nicht ohne Einfluß bleiben können. Die fort⸗ geſetzte Steigerung der Preiſe nahezu aller Lebens⸗ bedürfniſſe, die die ſtädtiſche Verwaltung ver⸗ anlaßt hat, allen ſtädtiſchen Beamten, Angeſtellten und Arbeitern eine Teuerungszulage von 7½ % zu bewilligen, macht ſich bei der Lebenshaltung der Perſonen, die die Hilfe der Armenverwaltung in Anſpruch nehmen, naturgemäß in verſtärktem Maße fühlbar. Dazu kommt in dieſem Jahre ein Grad von Arbeitsloſigkeit ſchon im Sommer, wie er bisher ſeit Jahren nicht zu verzeichnen ge⸗ weſen iſt. Die ungünſtige Lage des Arbeitsmarktes erhellt, ſowohl aus den Zahlen des ſtädtiſchen Ar⸗ beitsnachweiſes als aus dem Rückgang der Mit⸗ gliederzahl der hieſigen Krankenkaſſen. Aber auch die Statiſtit der Armenverwaltung läßt die Ver⸗ ſchlechterung des Arbeitsmarktes, wenn die Zahlen auch nicht abſolut, ſondern nur vergleichsweiſe Wert haben, deutlich erkennen. Während im Jahre 1907 vom 1. Januar bis 30. September nur in 200 Fällen Unterſtützungen wegen Arbeits⸗ loſigkeit gezahlt werden mußten, iſt ihre Zahl im Jahre 1908 auf nicht weniger als 621 angewachſen. Die Zahl der Unterſtützungsgeſuche (einſchließlich Waiſenpflege) überhaupt, die einen ziemlich ſicheren Maßſtab für die beſtehende Notlage abgeben, iſt in den erſten 6 Monaten des Rechnungsjahres — April bis September — von 3437 im Jahre 1907 auf nicht weniger als 5422 im Jahre 1908 ge⸗ ſtiegen. Der Niedergang der wirtſchaftlichen Ver⸗ hältniſſe macht ſich faſt überall, in erſter Reihe natürlich aber bei der Inanſpruchnahme barer Unterſtützungen geltend. Auch auf die Not⸗ wendigkeit, Kinder in ſtädtiſche Pflege zu nehmen, ſind die wirtſchaftlichen Verhältniſſe nicht ohne Einfluß. Vater und Mutter, die ſonſt die Pflege⸗ koſten bezahlen konnten, haben jetzt nicht ſelten Mühe, ſich ſelbſt durchzubringen, ſo daß die Stadt eintreten muß. Aber auch die Inanſpruchnahme der Armenärzte, die ſchon im vorigen Jahre außer⸗ ordentlich zugenommen hatte, hat ſich in dieſem Jahre noch geſteigert, da nach den Berichten der Arzte zahlreiche Perſonen, die ſonſt einer Kranken⸗ kaſſe angehörten, jetzt infolge Arbeitsloſigkeit die Hilfe des Armenarztes in Anſpruch nehmen mußten. Das bedingt ſchon an ſich eine Erhöhung auch der Ausgaben für Heilmittel aller Art. Wie einzelne Armenärzte aber berichten, ſind infolge der ſchlechten Wirtſchaftslage namentlich bei den Kindern zahl⸗ reiche Fälle von Unterernährung feſtzuſtellen ge⸗ weſen, die naturgemäß die Armenverwaltung zu weiterem Eingreifen veranlaſſen mußten. Wie hoch ſich die Mehrausgaben bis zum Schluſſe des Jahres im ganzen ſtellen werden, läßt ſich heute nicht über⸗ ſehen. Die Nachbewilligung, die wir beantragen, rechnet mit im weſentlichen gleich bleibenden Verhältniſſen. Tritt in den Wintermonaten etwa eine verſtärkte Arbeitsloſigkeit ein oder ſtellt be⸗ ſonders große Kälte erhöhte Anforderungen, ſo werden vorausſichtlich noch weitere Mehrauf⸗ wendungen erforderlich werden. Erſparniſſe ſind, ſoweit ſich das heute überſehen läßt, nur in ganz geringfügiger Höhe zu erwarten. Die Einnahmen an Erſtattungen allerdings ſind auf etwa 10 000 ℳ höher zu ſchätzen, als im Etat angenommen iſt. Im einzelnen bemerken wir zu unſeren An⸗ trägen: Zu 1. Vorgeſehen ſind im Etat. 520 000 ℳ, von denen bis zum 1. Oktober ein⸗ ſchließlich der laufenden Unterſtützungen füür Oktober , 323 302 „ verausgabt ſind, ſo daß noch. .. 195 698 verfügbar waren. Die Zahl der laufend unter⸗ ſtützten Perſonen iſt vom September 1907 bis zum September 1908 von 2587 auf 2800, der Monatsbetrag der laufenden Unterſtützungen vom September 1907 bis zum September 1908 von 37 414 auf 42 316 geſtiegen. Bis zum Jahresſchluß werden abgerundet mindeſtens noch 246 700 ℳ erforderlich ſein; es bedarf daher einer Nach⸗ bewilligung von mindeſtens 50 000 ℳ. Zu 2. Die Zahl der in ſtädtiſche Pflege ge⸗ nommenen Kinder iſt in den letzten Jahren fort⸗ geſetzt angewachſen. Während 1906 nur ins⸗ geſamt 967, 1907 nur 1110 Kinder ſich in ſtädtiſcher Pflege befanden, war die Zahl am 1. Oktober 1908 bereits auf 1047 angewachſen, von denen aller⸗ dings 121 am 1. Oktober bereits wieder aus der Pflege ausgeſchieden waren. Anfang Oktober 1907 befanden ſich 803, Anfang Oktober 1908 926 Kinder in ſtädtiſcher Pflege. Ein großer Teil der Pflege⸗ kinder kommt nur vorübergehend in Pflege; es handelt ſich meiſt um Fälle der gefänglichen Ein⸗ ziehung oder der Heilſtättenbehandlung der Eltern oder ähnliche Fälle. Auf die Zunahme der Zahl der ſtädtiſchen Pflegekinder iſt auch die ſeit 2 Jahren eingeführte Generalvormundſchaft, wie wir ſchon früher betont haben, nicht ohne Einfluß geweſen; in der Zeit vom 1. April bis 1. Oktober haben 43 unter Generalvormundſchaft ſtehende Mündel in ſtädtiſche Pflege genommen werden müſſen. Der Mehrbedarf wird zum Teil aber auch durch die ſeit Beginn dieſes Jahres eingetretene Erhöhung der Pflegeſätze bedingt. Verfügbar ſind nach dem Etat 161 200 ℳ, von denen bis 30. September 99 357 verausgabt oder zum Soll geſtellt worden ſind, ſo daß 61 843 ℳ noch verfügbar waren. Bis zum Jahresſchluſſe wird der Bedarf vorausſichtlich etwa 83 843 ℳ betragen, ſo daß eine Verſtärkung um 22 000 ℳ) geboten iſt. Zu 3. Die Gebühren für Entbindungen ſind ſeit dem 1. Januar 1908 von 12 ℳ auf 16 ℳ er⸗ höht worden. Dieſe Erhöhung hat ſich im vergan⸗ genen Jahre nur für ein Vierteljahr bemerkbar gemacht, während ſie in dieſem Jahre voll zur Geltung kommt. Die Zahl der Entbindungen auf Armenkoſten hat aber auch zugenommen. Während 1907 nur 286 Entbindungen bezahlt worden ſind, hat die Zahl im erſten Halbjahr 1908 bereits 191 betragen. Es erſcheint daher eine Erhöhung um 2500 ℳ geboten. Zu 4. Für Heilmittel (Arzneien, Milch, Krankenkoſt uſw.) ſind 42 400 ℳ vorgeſehen, von denen bis Ende September 20 199 ℳ verausgabt worden ſind. Soweit es ſich jetzt ſchon überſehen läßt, werden bis zum Jahresſchluß mindeſtens noch 25 200 ℳ erforderlich ſein, während nur 22 200 ℳ noch zur Verfügung ſtehen. Der Mehr⸗ bedarf iſt in der Hauptſache auf die infolge zahl⸗ reicher ſchwerer Krankenfälle und der verſtärkten Fürſorge für Lungenkranke notwendig gewordene Verordnung von Krankenkoſt zurückzuführen. Für ſie ſind übrigens ſchon 1907 5822 ℳ verausgabt worden, während für 1908 nur 4000 ℳ im Etat vorgeſehen ſind. Es erſcheint hiernach eine Ver⸗ ſtärkung der geſamten Summe um 3000 ℳ er⸗ forderlich. 7