—— 568. ——— Artikel 6. (Inkrafttreten.) Dieſes Ortsſtatut tritt vier Wochen nach ſeiner Bekanntmachung in Kraft. Begründung. Hausgewerbetreibende, das ſind ſolche Perſonen, welche in eigenen Betriebs⸗ ſtätten im Auftrage und für Rechnung anderer Gewerbetreibender mit der Herſtellung oder Be⸗ arbeitung gewerblicher Erzeugniſſe beſchäftigt werden, unterſtehen nach dem Krankenverſicherungs⸗ geſetz keinem Verſicherungszwang. Sie können ihm aber nach Maßgabe der §§ 2, 54 des Kranken⸗ verſicherungsgeſetzes durch Bundesratsverordnung oder Ortsſtatut unterſtellt werden. Bislang iſt ihnen hier in Charlottenburg nur die Möglichkeit freiwilliger Verſicherung gegeben. Von der Überzeugung ausgehend, daß die Hausgewerbetreibenden ebenſo oder mehr noch als die verſicherten Arbeiter der 3wangs⸗ krankenverſicherung bedürftig ſeien, hat die Stadtverordneten⸗Verſammlung in der Sitzung am 11. März 1908 auf Antrag des Stadt⸗ verordneten Zietſch und Gen. einſtimmig beſchloſſen: „Der Magiſtrat wird erſucht, der Stadt⸗ verordneten⸗Verſammlung eine Vorlage zu unterbreiten, durch welche die obligatoriſche Krankenverſicherung der in Charlottenburg wohnenden Hausgewerbetreibenden auf Grund des Krankenverſicherungsgeſetzes eingeführt wird“. Der Magiſtrat hat darauf am 30. März 1908 die ortsſtatutariſche Krankenverſicherung der Haus⸗ gewerbetreibenden beſchloſſen. Leitende Geſichtspunkte für den Entwurf waren: 1. tunlichſte Einfachheit und Verſtändlichkeit der Faſſung; es iſt deshalb im Statut nur geregelt, was nach dem Geſetz darin geregelt ſein muß; was das Geſetz ſelbſt regelt, iſt weggelaſſen, anderes der Auslegung des Einzelfalles überlaſſen; 2. tunlichſter Bedacht auf die Allgemeine Ortskrankenkaſſe zu Charlottenburg als die Haupt⸗ verſicherungsträgerin, um ihr einerſeits die Ver⸗ ſicherungsbeiträge zu ſichern, anderſeits ſie vor Ausbeutung zu ſchützen; 3. tunlichſte Anlehnung an das Berliner Ortsſtatut, um ein möglichſt einheitliches Recht für das Wirtſchaftsgebiet von Groß⸗Berlin zu fördern; 4. tunlichſte Angleichung an die geſetzliche Krankenverſicherung der Lohnarbeiter, um möglichſt einheitliches Recht für die beiden Erwerbskategorien zu ſchaffen. Eine Zwangskrankenverſicherung der Haus⸗ gewerbetreibenden anſtelle der bisherigen frei⸗ willigen Verſicherung könnte in der Weiſe einge⸗ führt werden, daß anſtelle der Selbſtverſicherungs⸗ freiheit Selbſtverſicherungszwang für die Haus⸗ gewerbetreibenden träte. In Anlehnung an die geſetzliche Krankenverſicherung der Lohnarbeiter wie in Verfolg der anderen leitenden Geſichtspunkte und aus Rückſicht auf die in der Stadtverordneten⸗ Verſammlung laut gewordenen Wünſche hat ſich der Entwurf damit nicht begnügt, ſondern hat wie das Geſetz bei der Krankenverſicherung der Lohn⸗ arbeiter die Verſicherungspflichten im weſent⸗ lichen den Arbeitgebern auferlegt. 0 In Artikel 1 iſt der Grundgedanke der Verſiche⸗ rungspflicht der Hausgewerbetreibenden aufgeſtellt. a) Der Kreis der Verſicherungs⸗ pflichtigen iſt genau nach dem Wortlaut des Geſetzes gefaßt, nur iſt die Faſſung konkreter und verſtändlicher getroffen, indem hier wie in der Titelüberſchrift deutlich die Verſicherungspflicht ſelbſt und nicht die Ausdehnung der Verſicherungs⸗ pflicht ausgeſprochen iſt. Dieſe Faſſung macht die Einſchiebung „nach Maßgabe des Krankenverſicherungsgeſetzes“ nötig, womit zugleich deutlicher als ſonſt ausgedrückt iſt, daß nicht nur der die allgemeinen Vorausſetzungen der Verſicherungspflicht angebende § I1 des Kranken⸗ verſicherungsgeſetzes, ſondern das ganze Kranken⸗ verſicherungsgeſetz, auch z. B. die Rechtsfolge⸗ beſtimmungen zivil⸗ und ſtrafrechtlicher Natur zur Anwendung kommen ſollen, die ſich mit den „folgenden Beſtimmungen“ vereinbaren laſſen. Von den Heimarbeitern, von denen die Verhandlungen der Stadtverordneten⸗ Verſamm⸗ lung ausgegangen ſind, iſt hier wie ſonſt nicht die Rede. Der Unterſchied der Heimarbeiter von den Hausgewerbetreibenden ſteht neuerdings wiſſenſchaftlich (vgl. Stier⸗Somlo, Sozialgeſetz⸗ gebung Band 1 S. 107 ff.) völlig feſt. Für die Praxis wird der Unterſchied bei Ausdehnung der Verſicherungspflicht auf die Hausgewerbetreibenden faſt bedeutungslos. b) Es iſt für die Verſicherungspflicht der Hausgewerbetreibenden keine obere Grenze in ihren Einkommensverhältniſſen gezogen. Elberfeld läßt verſicherungsfrei diejenigen, die 12 oder mehr Mark Klaſſenſteuer entrichten, Berlin diejenigen, die zur Gewerbeſteuer veranlagt ſind. Wenn gleichwohl von ſolch einer oberen Begrenzung trotz der obenangeſtellten Verein⸗ heitlichungsbeſtrebung Abſtand genommen wird, ſo geſchieht dies, weil die meiſten Statuten, die neueren alle, darunter auch Schöneberg, ſie nicht haben, weil die überwiegende Mehrzahl der Ver⸗ waltungen, darunter auch Berlin ſelbſt, von ihr abrät und weil die angeführten aus dem Steuer⸗ recht hergenommenen Beſchränkungen wenig ſach⸗ gemäß erſcheinen. Wenn eine obere Begrenzung eingeführt werden ſollte, ſo könnte es nur die Einkommens⸗ grenze von (6 2⅝ ℳ) täglich oder 2 000 ℳ jährlich ſein, womit eine Gleichſtellung der Hausgewerbe⸗ treibenden mit den im Geſchäftsbetriebe der An⸗ wälte, Notare, Gerichtsvollzieher, Krankenkaſſen, Berufsgenoſſenſchaften und Verſicherungsanſtalten, den im Betriebe oder im Dienſte des Reichs, eines Staates oder einer Kommune als Beamte be⸗ ſchäftigten Perſonen und mit den Betriebsbeamten, Werkmeiſtern, Technikern, Handlungsgehilfen und ⸗Lehrlingen der §§ 1 Abſ. 1, 2 Abſ. 1 Ziff. 2, 2 a, 2b Krankenverſicherungsgeſetzes herbeigeführt würde. Aber mit dieſen haben die Hausgewerbe⸗ treibenden offenbar nichts gemein. Wirtſchaftlich werden ſie durchgängig mit den ſonſt verſicherungs⸗ pflichtigen Arbeitern gleichſtehen, deren Verſiche⸗ rungspflicht eine obere Begrenzung im Einkommen nicht hat. Man wird mit Altona die Meinung teilen müſſen, daß die Hausgewerbetreibenden hier — wie ſonſt — den allgemeinen Beſtimmungen 10 Krankenverſicherungsgeſetzes zu unterwerfen ien.