— 114 — — 3u I. Weiſe bei der Heranziehung zu den Gemeinde⸗ abgaben unbilligen Härten der formellen Rechts⸗ kraft begegnet werden könne, ergab als nächſt⸗ liegendes Mittel den Rechtsbehelf der „Wieder⸗ einſetzung in den vorigen Stand“. Dieſer Rechts⸗ behelf ermöglicht es dem Betroffenen in allen Fällen einer entſchuldbaren Verſäumung der Rechts⸗ mittelfriſt, die Wirkungen der Rechtskraft wieder aus der Welt zu ſchaffen und ein Nachprüfung der materiellen Sachlage herbeizuführen. Eine Wieder⸗ einſetzung in den vorigen Stand, wie ſie auf dem Gebiete der ſtaatlichen Einkommen⸗ und Ergän⸗ zungsſteuer ausdrücklich zugelaſſen iſt — vgl. Artikel 74 der Ausführungsanweiſung vom 25. Juli 1906 zum Einkommen⸗ und Ergänzungsſteuer⸗ geſetz in Verbindung mit § 48 des Ergänzungsſteuer⸗ geſetzes in der Faſſung der Bekanntmachung vom 19. Juni 1906 —, iſt zwar im Kommunalabgaben⸗ geſetze nicht beſonders vorgeſehen; das Ober⸗ verwaltungsgericht hat jedoch unter Berufung auf den § 52 Abſatz 2 des Landesverwaltungsgeſetzes vom 30. Juli 1883 nunmehr in feſter Rechtſprechung anerkannt, daß die Grundſätze über die Wieder⸗ einſetzung in den vorigen Stand im geſamten Be⸗ reiche des Gemeindeabgabenrechts ohne weiteres allgemein anwendbar ſind. — Vgl. die bei Nöll⸗ Freund, Kommunalabgabengeſetz, 7. Auflage S. 331 in Anm. 20a zu § 69 angeführten Entſcheidungen. — Es genügt daher auszuſprechen, daß in Zukunft auch in Charlottenburg die Grundſätze über die Wiedereinſetzung in den vorigen Stand bei ſämt⸗ lichen Gemeindeabgaben uneingeſchränkt gehand⸗ habt werden. In den weitaus meiſten Fällen wird auf dieſem Wege, ohne daß irgend eine Anderung des beſtehenden Rechtszuſtandes erforderlich iſt, Abhilfe geſchafft werden können. Insbeſondere iſt es möglich, mit der Wiedereinſetzung in den vorigen Stand allen jenen Abgabepflichtigen zu helfen, die eine Rechtsmittelfriſt nur aus dem Grunde verſäumt haben, weil ſie von einer Zu⸗ ſtellung ohne ihr Verſchulden keine Kenntnis er⸗ langten. Zu II. Immerhin kommen vereinzelt auch Fälle vor, bei denen zwar die Verſäumung der Rechtsmittelfriſt nicht entſchuldbar und eine Wieder⸗ einſetzung in den vorigen Stand deshalb nicht ſtatt⸗ haft iſt, bei denen aber der Sachverhalt doch ſo eigenartig liegt, daß die Ausnutzung der formellen Rechtskraft bei einer materiell unrichtigen Ver⸗ anlagung für die Gemeinde unangemeſſen er⸗ ſcheinen mag. Es ſind dies namentlich ſolche Fälle, in denen die Veranlagung ausſchließlich infolge eines Verſehens der ſtädtiſchen Verwaltung — etwa infolge eines groben Rechenfehlers — ſachlich un⸗ richtig erfolgt iſt. Hier erhebt ſich eine Frage von großer grundſätzlicher Bedeutung, nämlich die Frage, ob es 1. rechtlich zuläſſig und 2. zweckmäßig ſei, ſich aus ſogenannten Billigkeitsgründen über einen durch den endgültigen Eintritt der Rechts⸗ kraft geſchaffenen formellen Rechtszuſtand hinweg⸗ zuſetzen und eine Entſcheidung nach materiellen Geſichtspunkten zu treffen. Beide Fragen werden von uns bejaht. Die rechtliche Befugnis einer Ge⸗ meinde, auf rechtskräftig veranlagte Abgaben zu verzichten, ergibt ſich aus der Erwägung, daß die Niederſchlagung eines Steuerbetrages ſich in nichts Die Prüfung der Frage, auf welche von anderen Akten der Vermögensverwaltung einer Gemeinde unterſcheidet, auch nicht hinſichtlich der Zuſtändigkeit der beiden ſtädtiſchen Körper⸗ ſchaften. Es beſteht nur eine Pflicht zur Ver⸗ anlagung, nicht zur Beitreibung für die Gemeinde; dieſer bleibt es kraft ihres Finanz⸗ hoheitsrechtes in jedem einzelnen Falle überlaſſen, in welchem Umfange ſie ihre Forderungen, ins⸗ beſondere auch ihre rechtskräftig feſtſtehenden Abgaben⸗Forderungen verwirklichen will. Sehr ſchwierig aber iſt die zweite Unterfrage, ob und inwieweit es für eine Gemeinde zweck⸗ mäßig ſei, von ihrem Niederſchlagungsrechte Gebrauch zu machen. Hier ruht der Angelpunkt der ganzen Materie. Im Schoße des Ausſchuſſes wurden ernſte Bedenken dagegen erhoben, an dem Palladium der formalen Rechtsgarantien zu rütteln. Billigkeitsgründe könnten in ſolchen Fällen ſchon deshalb nicht in Betracht kommen, weil die Ver⸗ ſäumung der Rechtsmittel⸗ und Wiedereinſetzungs⸗ friſt regelmäßiges ein ſo grobes Verſchulden des Abgabepflichtigen bedeute, daß dadurch etwaige Verſehen der Verwaltung vollkommen wettgemacht würden; wer dem nicht beitrete, müſſe die ſittliche Berechtigung der Formbürgſchaften überhaupt leugnen. Die Mehrheit gelangte jedoch ſchließlich zu der Überzeugung, daß eine Durchbrechung des Formalismus zugunſten der materiellen Rechts⸗ lage im Hinblick auf die Rechtsanſchauungen des Publikums doch in beſtimmten Fällen empfehlens⸗ wert erſcheine. Darüber freilich war ſich auch die Mehrheit vollkommen klar, daß ein ſolches Entgegen⸗ kommen in der Tat unter Umſtänden große Ge⸗ fahren in ſich bergen kann. Zufall und Willkür können in der Behandlung der einzelnen Nieder⸗ ſchlagungsgeſuche zu ungleichartigen Entſcheidun⸗ gen führen, unerwünſchte Präjudizien können die Keime einer höchſt ungeſunden Entwicklung werden. Ein Hinwegſchreiten über die formelle Rechtskraft darf daher nur dann als zweckmäßig anerkannt werden, wenn ſich Schutzwehren gegen dieſe Ge⸗ fahren finden laſſen. Wir glauben, daß unſere heute vorgelegten Beſchlüſſe ſolche Garantien in hinreichendem Maße enthalten: Zunächſt muß es ſich darum handeln, die Fälle der zuläſſigen Durchbrechung des Formalismus von vornherein genau feſtzulegen. Sodann will unſere Vorlage eine zuverläſſige Gewähr für eine einheitliche Behandlung der Niederſchlagungs⸗ und Erſtattungsanträge dadurch ſchaffen, daß als Inſtanz für alle dieſe Geſuche ein ſtändiger Magiſtrats⸗ ausſchuß von drei Mitgliedern ins Leben gerufen wird, der nach Anhörung des Gemeindeſteuer⸗ ausſchuſſes in feſter Praxis ſeine Entſcheidungen trifft. Schließlich muß verhindert werden, daß durch die Möglichkeit ſpäterer Erſtattungsanträge der Eintritt eines endgültigen Rechtszuſtandes ſich ins Unbegrenzte hinauszögere; eine erneute materielle Nachprüfung ſoll daher hier, ebenſo wie bei den Fällen der Wiedereinſetzung in den vorigen Stand, nur innerhalb einer einjährigen Ausſchlußfriſt zu⸗ läſſig ſein. Bejaht man ſo mit uns grundſätzlich ſowohl die Frage der rechtlichen Zuläſſigkeit als auch unter gewiſſen von vornherein feſtgelegten Vorausſetzun⸗ gen die der Zweckmäßigteit einer Niederſchlagung rechtskräftiger Gemeindeabgaben, ſo gilt es nun⸗ mehr, im einzelnen die verſchiedenen Moglichteiten zu erwägen, bei denen aus Billigkeitsgründen eine