Nachträge. 0 00 = 3 Fabrik feuerfester und säurefester Producte, Actien-Gesellschaft zu Vallendar a. Rh. Fabriken in Bad Nauheim und Wirges (Westerwald), Osterwald b. Hameln und Gertraudenhütte b. Schneidemühl. (In Konkurs seit 11./11. 1901.) Am 4./12. 1900 wurde der seitherige General-Direktor der Ges. Leo Otto Boeing seines Amtes entsetzt, da im Fall seines Bleibens die Berliner Handels-Ges. den der Ges. eingeräumten Kredit gekündigt hätte. Es wurde dann konstatiert, dass seitens des ent- lassenen Vorst. mind. seit 1896 unrichtige Bilanzen (besonders mit Rücksicht zu hoch angesetzter Anlagenwerte der verschiedenen Etablissements) aufgestellt und zu hohe Div. verteilt worden sind. Letzteres soll zum Teil nur dadurch möglich gewesen sein, dass die Ges. ihre eigenen Produkte zum Teil für den Bau ihrer eigenen Anlagen verwandte und dieselben sich selbst zu Preisen anrechnete, die weit über den Marktpreis hinaus- gingen. Die ausserord. G.-V. v. 22./3. 1901 beschloss deshalb die Einsetzung einer Revisions- Kommission, deren Bericht in der G.-V. v. 12./8. 1901 erstattet wurde. (Siehe unten.) Der Geschäftsbericht für 1900 (siehe unten Bilanz I) konstatiert einen Fehl- betrag von M. 1 993 973. Dabei sind die von Boeing für das Jahr 1899 angenommenen Werte in den Vermögensausweis eingestellt (Bilanz der Revisions-Kommission unten). Hierzu wird bemerkt, dass auf die Forderungen der Ges. M. 97 210 als uneinbringlich abgeschrieben und M. 94 388 als zweifelhaft auf den Sicherheitsbestand überschrieben werden mussten, ebenso M. 299 028 Ford erungen an die Brüder L. O. Boeing u. Ernst Boeing. Zur Erläuterung des restlichen Verlustbetrags von M. 1 506 531 wird mitgeteilt, dass die Abschreibungen wegen der grossen buchmässigen Belastungen der Anlagerechnung die Höhe von M. 492 196 (im Vorjahre M. 348 904) erreichen, und zwar bef den früheren sehr mässig bemessenen Sätzen. Die leichtfertige Schuldenwirtschaft Boeings hat der Ges. ferner eine Zinsbelastung von M. 343 363 aufgelegt, und die Handlungsunkosten erforderten nicht weniger als M. 252 057. Weiter erbrachte die Fabrik in Wirges 1900 einen Betriebsverlust von M. 454 638. Die Werke in Bad Nauheim, Gertraudenhütte und Osterwald erzielten degegen einen Gewinn von Zzus. M. 35 723, nach deren Auf- rechnung der oben erwähnte Gesamtverlust verbleibt. Der Bericht bezeichnet den Betrieb in Wirges als unzweckmässig eingerichtet und verlustbringend und hebt hervor, dass die dort herrschende Misswirtschaft bei richtiger Aufstellung der Vermögensausweise und Rechnungsabschlüsse schon längst hätte zutage treten müssen. Die von der Revisions-Kommission ermittelten Ziffern exgaben ein trauriges Bild Boeing'scher Misswirtschaft; insbesondere wurde die grosse Überwertung des Grund- besitzes, der Gruben und der Bauten bestätigt (siehe unten Bilanz II). Nach der Bilanz per 30./12. 1900 ergab sich ein Verlustsaldo von M. 1 993 973, der von der Kommission konstatierte Gesamtverlust nach Abschreib. der Reserven beträgt M. 4 669 481. Die Wert- bemessungen der Kommission u. die Buchwerte der Bilanz per 31./12. 1900 differieren teil. weise sehr erheblich. Um nur die Hauptposten hervorzuheben, so wurde der Grundbesitz von der Revisions-Kommission mit M. 614512 eingestellt gegen M. 1 398 364 am 31./12. 1900; die Fabrikgebäude haben einen thatsächlichen Wert von M. 1 901 136, während sie von der früheren Verwaltung auf M. 2 749 663 bewertet waren, der Wert der Ofen u. Wannen hat von M. 2 146 067 auf M. 942 320 herabgesetzt werden müssen, die Wohnhäuser von M. 468 038 auf M. 188 053, die Maschinen und Apparate von M. 795 685 auf M. 555 659 etc. Der Bericht der Revisions-Kommission bezeichnet u. a. den Gründungsakt der Ges. als eine Schiebung schlimmster Art; insoweit als sich die Taxation noch ermitteln lasse, übersteige sie die Wirklichkeit um das Dreifache (M. 1 031 541 statt M. 375 000), bei der Kapital- beschaffung und Aktienbegebung sbeciell der fünften Million wurden verschiedene Unregelmässigkeiten Boeings aufgedeckt, auch derselbe der Unterschlagung und der Entfernung kompromittierender Schriftstücke bezichtet. Die Kommission hat nicht nur die Bilanzen für 1898 u. 1899, deren Prüfung ihr besonders aufgetragen war, inkorrekt vorgefunden, sondern auch alle früheren. So fehlt selbst die Eröffnungsbilanz; die Bilanzaufstellung Boeings ist bei wesentlichen Faktoren ohne buchmässige Grundlage erfolgt. Den besten Beweis für die ungeheuerlichen Bilanzverschleierungen liefert die Bilanz für 1898. Hierin weist Boeing einen Nettogewinn von M. 675 300 aus; die Kom- mission kommt zu einem Verlust von M. 1 293 402. Der Bericht kennzeichnet die Anlage Nauheim als eine recht traurige, Osterwald sei gut angelegt und verspreche bei weiterem Ausbau eine Rentabilität. Die Gertraudenhütte produziert jetzt schon gut und könnte noch rentabler gestaltet werden. Die Erbauung des Verwaltungsgebäudes in Vallendar muss als ein grosser Fehler bezeichnet werden. In Wirges seien die Anlagen zumeist gut, aber bei der Grube sei eine Bodenbewegung eingetreten, die eine kostspielige Neu- fundamentierung erforderte. Die Wertbemessung der Grube Gertz bei Wirges sei von Boeing mit M. 1 000 000 viel zu optimistisch beurteilt worden. Die Revisions-Kommission kommt nur zu M. 53 000 und bezeichnet die Grube als ein Schmerzenskind der Ges. etc. Die G.-V. v. 12. bezw. 13./8. 1901 vertagte die Genehmigung der Bilanz von 1900. Über eine event. Sanierung der Ges. sollte die für den 12./8. 1901 einberufene G.-V. beschliessen; die Dir. erklärte in dieser G.-V., dass das Werk nicht 4 Wochen gehalten Handbuch der Deutschen Aktien-Gesellschaften 1901/1902. II. 93