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Deutscher eichstag. 77. Sitzung vom 5. Mai 1899, 2 Uhr.
Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Gebühren für die Benußung des Kaiser Wilhelm-⸗Kanals.
Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner: 3
Meine Herren! Die Vollmacht, den Tarif sür den Kaiser Wilhelm⸗Kanal festzuftellen, die wir schon einmal von Ihnen ein geholt haben, erbitten wir uns auf neue. Die Art des Schleppver⸗ kehrs sowie der Umfang der Schiffsfahrzeuge, die Att ibrer treibenden Kraft, die Richtungslinie und die Entwickelung des Verkehrs nach Maßgabe der praktischen Bedürfnisse des Handels unterliegen, wie Sie aus dem statistischen Material ersehen, welches der Vorlage beigefügt ist, einer fortgesetzten Veränderung. Diese Veränderung der Ver⸗ hältnisse macht es aber nothwendig, daß wir in der Lage bleiben, diesen Verbältnissen auch durch die Gestaltung unseres Tarifs alsbald Rechnung zu tragen.
Die Verkehrsverhältnisse im Kaiser Wilbelm - Kanal baben sich noch nicht derartig gestaltet, daß man sagen könnte, sie sind zu einem gewissen festen Bebarrungsjustand gedieben. Im Gegentheil, wir hoffen, daß sich der Verkebr, wie auch bisher, fortgesetzt weiter ent⸗ wickeln wird, und es uns namentlich durch die Art der Tarifierung der Gebühren gelingen möge, Schiffahrtsinteressenten dem Kanal zuzu⸗ führen, die bis jetzt zu unserem Bedauern sich demselben noch fern gehalten haben. Daraus folgt aber, daß man die Gebührenordnung, um die Erfahrungen nutzbar machen zu können, die wir selbst aus dem Kanalverkehr jieben, nicht gesetzlich festlegen kann, sondern die Festsetzkig dem Bundesrath überlassen muß. Wir haben die Frist nur auf 5 Jahre bemessen, um auch dem Reichstage seiner⸗ seits Gelegenheit zu geben, die Wünsche, die er in Bezug auf die Gestaltung der Tarife begt, von Zeit zu Zeit und jwar in nicht ju langen Zeiträumen zur Geltung zu bringen. Wir bitten Sie deshalb, die Vorlage, so wie sie bier vorgeschlagen ist, namentlich bezüglich der Vollmacht für die Feststellung des Tarifs, genebmigen zu wollen. Ich glaube, ich kann mich auf diese wenigen Worte beschränken. Die übrigen Aenderungen sind untergeordneter Natur und meines Erachtens in den Motiven ausreichend dargelegt.
Abg. Broem el (fr. Vgg.): Es wird keinem Bedenken unter- liegen, die Festsetzung der Tarife dem Kaiser im Einvernehmen mit dem Bundes rathe zu überlassen; dadurch wird der Tarif besser den Verhältnissen angepaßt werden können als durch ein Gesetz. Die Vorlage betrifft aber auch einen anderen wichtigen Punkt: die gesetzliche Regelung der Gebübrenerbebung, die Einrichtung des Beschwerdeverfabrens 2c. Die Vorlage schließt sich den Vor⸗ schriften über die Zollerhebung 2c. im Großen und Ganzen an. Die Einnabmen aus den Kanaltarifen zeigen einen erfreulichen Fortschritt, sodaß gebofft werden kann, daß in nicht zu langer Zeit die Einnabmen die Unterbaltungskosten decken werden. Der Kanal beißt zu Unrecht Nord · Ostsee · Kanal, er sollte eigentlich Ostsee Elb= münde⸗Kanal beißen. Denn wenn auch die Schiffe der Ostseehäfen mehr als bisher in die Nordsee kemmen, so bat doch noch mehr der Verkehr Hamburgs mit der Ostsee sich gesteigert Wenn in der Be⸗ grũndung bebauxtet wird, daß Stettin viele Transporte verloren baben will“, so ist das unzutreffend, denn es ist eine Thatsache, daß Stettin Tran porte infolge der Eröffnung des Nord-Ostsee ⸗ Kanals verloren bat. Redner beantragt schließlich die Ueberweisung der Vorlage an eine Kommission.
bg. Dr. Habn (b. k. F.): Die Kanalgebubren sollen etwas berabgesetzt werden; man darf also vielleicht darauf hoffen, daß noch weitere Grleichterungen, wenn sie für gewisse Kategorien von Schiffen beansprucht werden, gewährt werden. Redner weist auf die Wünsche bin, die in dem Jabresbericht der Harburger Handels kammer ausge⸗ frechen worden seien, namentlich bezüglich der kleineren Fahrjeuge. Wenn der Schlerrlohkn die Kosten des Schleppdienftes noch nicht decke, so babe das in verschiedenen Ursachen seinen Grund, namentlich darin, das die Manrschaften nicht so ftark berangezogen würden wie im Dienste Ler Privatunternebmer. Redner erklärt zum Schluß, daß er aber nicht der Wunsch bege, daß hier eine Aenderung eintrete.
Geheimer Ober · Regierungf · Rath von Jonqui eres: Nur ein paar Worte der Erwiderung auf die Bemerkungen der Herren Vor. redner. Ich möchte junächst dem entgegentreten. wenn Herr Broemel aus der Angabe auf Seite 31 der Begründung der Reichs- verwaltung anscheinend imputiert, sie habe den ihr aus Stettin zugegangenen Mittheilungen über die Ginwirkung des Kanals zu Gunsten Hamburgs und ju Unguasten Stettins nicht vollen Glauben schenkea len, indem die Begründung sagt: Andererseits wil 1 Stettin durch die vermehrten Verbindungen Ham- burgs mit den östlichen, namentlich den rässischen Häfen in diesem Verkehr viele Transporte, insbesondere an russischem, nach Berlin gebendem Getreide verloren haben. Wir haben diesen Wortlaut dezbalb gewählt, weil diejenigen Ziffern, welche Herr Broemel zum Beweise angeführt hat, uns nicht jugegangen sind, obwohl wir offen⸗ bar die elbe Quelle baben, nämlich die Fachkommission der Kaufmann⸗ schaft zu Stettin. Lediglich weil wir nicht in den Besitz des Zablen materials gesetzt worden sind, baben wir diese unbestimmte Faffung gewäblt. Im übrigen bemerke ich, daß die Reichs verwaltung zur Frage der Differenzierung der Tarife nach der Lage der Häfen iesem Augenblick noch keige Stellung genommen bat. Das
eine alte Streitfrage, die sich schon vor drei Jahren
Woju weir diesmal gelangen werden, fteht dahin.
Wir wollten in die Srörterung hierüber erst eintreten, nachdem der Gesetzentwurf verabichiedet sein wird. Dem Herrn Abg Dr. Habn möchte ich auf seine Frage wegen Erhöhung des Schlepplohns Folgen- des bemerken: Ob man es gerade für rationell balten kann, daß eine Verwaltung bei einem solchen Betriebsjweig jährlich eine Sum me von 236 009 0 zusetzt — und dies Defizit muß wachsen, je mehr sich der Schlerpbetrieb ausdehnt —, ist eine Frage für sich. Aber wenn die Kanalrerwaltung in der Begrändang angedeutet bat. daß sie in i ernfte Prüfung der Frage eintreten müsse, ob sie Zustand ferner verantworten kann, so hat dabei einen
irfluß geübt diejenige Erwägung, die in Interessentenkreisen bervor⸗ getreten ift — ob sie richtig ist, lasse ich vorläufig dahingestellt —, 3 die niedrigen Schleprlöhne den kleinen Küstenschiffern in Wick⸗ keit gat nicht zu gute kommen, daß vielmehr der Befrachter es in Fand habe, die Frachtsätze zu diktieren, and natü: lich sie danach ße, was für Unkesten der Kleinschiffer in Gestalt von Kanal⸗ bgaben bat — Mit anderen Worten: sollten die Schlervlöhne er⸗ t werden, so müßte der Befrachter um so köhere Fracht jablen; wöärden sie aber berabgesetzt, so hat nicht der kleine Schfffer Vortheile dagen, sondern der Befrachter, der niedrigere Frachtsätze jablt. Diese Meinung ist uns so pesitiv entgegengetreten, daß wir sie näber prüfen Wenn die Leute, denen wir durch niedere Tartfe belfen
wollen. keine Hilfe davon baben, würde ich nicht einschen, wojn die Reiche ka ⸗ ein Opfer ven 236 000 M jährlich bringen soll, ein Be⸗ rag, welcher an sich fast geeignet ist, den für den nächsten Etat ver⸗ anschlagten votbæendigen Zuschaß zu decken. Es ist von Herrn Abg. Broemel bereits darauf hingewiesen, daß nach dem Etatsvoran⸗ scklage wir im nächsten Jahre mit nicht mehr als etwa 333 0590 M Def sit zu rechnen hätten. Daran, den ganzen Schleyp⸗ betrieb in die Hand der Prioatanternehmung binüberzuspielen, denken wit nicht; wit werden den vorhandenen Bestand an eigenen Schlepp rampfern innerbalb der Kanalverwaltung unter allen Umständen er— halten, und zwar schon mit Rüäcksicht auf die Marine, welche, wie ich
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fest überzeugt bin, ein starkeß Veto einlegen würde, wenn wir auch sie darauf verweisen wollten, mit ihren großen Dampfern, die zum theil auch im Schleyp durch den Kangal geben müssen, und für alle ihre Mansövrierzwecke sich wegen der Schlepphilfe lediglich an den Privat- betrieb zu balten. Herr Abg. Dr. Hahn ist dann auf die Steine im Kanal zurückgekommen. Zur Richtig, und Klarstellung bemerke ich zunächst: die Steine sind nicht deswegen gefährlich, weil sie im Kanalbette, auf der Soble, liegen. Der Kanal hat 9 m Tiefe, und da kann schon ein ziemlich tief gehendes Schiff ohne Schaden über etwaige Steine am Grunde hinwegfahren. Die Steine sind vielwehr deswegen gefährlich, weil sie an der Seite in den Böschungen sitzen und nicht immer herausragen, sondern, unter der Oberfläche der Böschung liegend, durch dünne Bodenschichten verdeckt sind, sodaß sie beim Absuchen nicht bemerkt werden. Läuft ein Schiff auf die Boschung und auf einen solchen an oder dicht unter der Oberfläche sitzenden Stein, so kann es sich bei den dünnen Eisen platten der Schiffshaut leicht ein Lech in den Leib stoßen. So sind bisher diese Unfälle in der Regel vor sich gegangen. Ich kann aber konstatieren, daß nach den getroffenen Maßnahmen im letzten Jahre kein einziger derartiger Unfall wieder vorgekommen ist. Das liegt daran, daß wir fleißig die Böschungen nach den Steinen abgesucht und die vorgefundenen beseitigt haben. Wir hören aber nun nicht etwa mit dem Absuchen der Böschungen auf. Denn die Steine wachsen bekanntlich wie auf dem Felde aus dem Boden heraus, sodaß das Absuchen eine ganz ständige Beschäf⸗ tigung unserer Kanalverwaltung ist, solange wir kein radikaleres Mittel baben. Auch unsererseits ist bereits eine Verbreiterung des Kanals an den gefährdeten Stellen erwogen. Eine solche nackträgliche Ver. breiterung kostet aber unverhältnißmäßig viel Geld, sodaß wir uns noch nicht haben entschließen können, mit entsprechenden Nachforde⸗ rungen hervorzutreten. Einstweilen werden wir das Mittel des Ab⸗ suchens, welches, wie die Erfahrung zeigt, bieber mit gutem Erfolge jur Anwendung gekommen ist, auch fernerhin an⸗ wenden. Nun muß ich noch einer Behauptung des Herrn Abgeordneten entgegentreten. Sie betrifft die Verschlickung des Freiburger Hafens. Der Herr Abgeordnete bat es dankend anerkannt, daß die preußische Verwaltung der Gemeinde Freiburg 10 000 4 Beihilfe gegeben habe, um die Verschlickung zu beseitigen. Er bat binzugefügt, die preußische Verwaltung würde sich diese Beisteuer mit Recht von der Kanalverwaltung zurückerbitten können. Demgegenüber möchte ich bemerken, daß in den Kanalverwaltungsberichten im vorigen Jahr bereits mitgetheilt ist, daß festgestelltermaßen, wie von zuständiger amtlicher Seite anerkannt ist — ich kann hinzufügen, daß diese zuständige amtliche Seite das preußische Arbeits Ministerium ist, — ein Zusammenbang zwischen der Verschlickung und den Ausschüttungen des Baggerguts der Kanal⸗ verwaltung nicht besteht. Die preußische Verwaltung würde aus diesem Grunde, weil sie selbst das Fehlen des Zusammenhanges zwischen den beiden Erscheinungen feststellt, wobl kaum versuchen, die 10 000 6 Ivon der Kanalverwaltung zurückzuerbitten. Auf die Frage der Koblen glaube ich jetzt nicht eingehen zu sollen.
Abg. Möller (!) erklärt sich für die Vorlage; es würde sich überbaupt nicht empfeblen, die Tarife gesetzlich festjulegen; böchstens könnte man Maximaltarife feststellen. Wenn einzelne Ostleebäfen ge⸗ schädigt seien, so sei das immer die Folge einer jeden Verbesserung oder Abänderung des Verkehrs, die man in den Kauf nehmen müsse. Der Kleinschiffahrt sollte man die Voribeile, welche ihr gewährt seien, auch weiter erhalten.
Abg. Freiherr von Maltzan (. kons.) bedauert, daß die Ein⸗ nabmen des Kanals die Kosten der Verwaltung immer noch nicht deckten. Gegen die Vorlage an sich hätten die Konservativen nichts einzuwenden; sie seien bereit, die Feststellung der Gebübren dem Bundes⸗ ratb zu überlassen. Eine allgemeine Herabfetzung des Tarifs sei nicht an⸗ gebracht; denn einmal stehe zu hoff en, daß auch obne eine solche Ermäßi⸗ gung der Verkehr namentlich von ausländischen Schiffen zunehmen werde, und es bestehe die Gefa hr, daß bei einer erbeblichen Ermäßigung der Ver⸗ kebr sich zu sebr steigere, was Unzuträglichkeiten mit sich bringen könnte. Aus den Ausfübrungen des Abg. Broemel gehe bervor, daß Stettin durch den Nord, Ost see Kanal Schaden gelitten habe. Es hahe also ebensowenig von seinem Freibafen einen Vortheil gehabt, wie Kopen⸗ bagen. Man könnte vielleicht daran denken, für gewisse Waaren die Kanalgebühren zu ermäßigen, vielleicht für Kohlen. Denn wenn in den östlichen Provinzen eine Indastrie geschaffen werden sollte, jo brauchten diese billige Kohlen. Auch fuͤr diejenigen Schiffe, welche regelmäßig den Kanal passierten, könnten Ermäßigungen eingeführt werden.
Nach welteren Bemerkungen der Abgg. Dr. Hahn, Broemel und Möller erklärt
Abg. von Staudy (d. kons), daß der Abg. von Maltzan mit seinen Ausführungen über die Industrialisierung des Ostens nicht die Ansichten der Partei, sondern nur seine eigenen Ansichten vor—⸗ getragen habe.
Die erste Lesung ist damit beendet; die zweite Lesung wird ohne kommissarische Berathung im Plenum stattfinden.
Es folgt die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, be⸗ treffend das Flaggenrecht der Kauffahrteischiffe, der von der Kommission in zwei untergeordneten Fällen ab⸗— geändert ist. Das Haus nimmt diese Aenderung an, nachdem der Unter⸗Staatssekretär im Reichsamt des Innern Rothe erklärt hat, daß die verbündeten Regierungen dagegen wobl nichts einzuwenden haben würden.
Darauf folgen Wahlprüfungen.
Die Wahlen der Abgg. Dr. Kropatscheck (8. kons.) und Jacobskötter (d. kons werden für gültig erklärt, die Wahlen der Abgg. Firzlaff (d. kors), Börner (nl) und Ern st (fr. Vxgg.) werden beanstandet; bezüglich der drei letzten Wahlen wird Beweiserhebung über die Behauptung der Wahl⸗ proteste be schlossen
Die Wahl des Abg. von Loebell (d. kons.), bezüglich deren ebenfalls Beanstandung und Beweiserhebungen beantragt waren, wird an die Kommission zurücküberwiesen mit einem Antrage des Abg. von Brockhausen (d. kons.), der die Beweiserhe bungen weiter ausgedehnt wissen will.
Es fol gt die Berathung von Petitionen. Die Petitionen, betreffend Entschädigungsansprüche der Gebrüder Denhardt und betreffend die Beaufsichtigung von Wasserstraßen, werden für erledigt erklärt infolge der bei der Berathung des Reichshaushalts⸗Etats beschlossenen, darauf bezüglichen Resolutionen. Petitionen wegen Abänderung des Kranktenversicherungsgesetzes (freie Arztwahl, wegen Einführung einer Minimal⸗Nachtruhezeit im Schiffergewerbe, wegen der Arbeitszeit der Heizer, wegen Abänderung des Zuckersteuergesetzes und wegen der Dien stverhältnisse der technischen Hilfsschreiber der Artilleriewerkstätten werden der Regierung als Material überwiesen.
Die Petition, betreffend Rückerstattung von Zoll auf Reifenstäbe, wird dem Reichskanzler zur Berücksichtigung überwiesen.
Schluß 5i/ Uhr. Nächste Sitzung Dienstag 1 Uhr. (Anträge, zuerst zweite Berathung des Antrages wegen des Schãchtverbots
3
Parlamentarische Nachrichten.
Dem Reichstage ist der nachstehende Entwurf einer Reichsschulden⸗Ordnung zugegangen: f
81.
Die Bereitstellung der außerordentlichen, ir Wege des Kredits zu beschaffenden Geldmittel, welche in dem , , zur Be⸗ streitung , . Ausgaben für Zwecke der Reichs verwaltung vor⸗ gesehen sind, erfolgt auf Grund einer besonderen gesetzlichen Er⸗ mächtigung des Reichskanzlers bis zur Höbe der bewilligten Summe in dem zu ibrer Beschaffung erforderlichen Nennbetrage durch Aufnahme einer verzinslichen Anleihe eder durch Ausgabe von Schatzanweisungen. Ueber die Ausführung des die Ermächtigung ertheilenden Gesetzes hat der Reichskanzler dem Reichstage bei dessen nächster Zusammenkunft Rechenschaft abzulegen. !
Die Ermächtigung des Reichskanzlers, zur vorübergebenden Ver- stärkung der ordentlichen Betriebsmittel der Reichs. Hauptkasse nach ö. Schatz anweisungen auszugeben, hat gleichfalls durch Gesetz zu erfolgen.
§ 2.
Die Bestimmung darüber, zu welcher Zeit, durch welche Stelle und in welchen Beträgen Schuldverschreibungen der verzinslichen An⸗ leihe ausgegeben werden sollen, steht dem Reichskaniler zu. Das Gleiche gilt von der Bestimmung des Zinssatzes, der Kündigungs bedingungen und des Kurses, zu welchem die Ausgabe erfolgen soll.
5 3. Die Schuld verschreibungen nebst den dazu gebörenden Zinsscheinen und , n m e werden von der Reichsschulden⸗ Verwaltung ausgestellt.
§5 4.
Die Gültigkeit der Unterzeichnung der auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen, Zinsscheine und Erneuerungsscheine hängt von der Ausfertigung ab, ohne daß es der Aufnahme dieser Bestimmung in die Urkunde bedarf.
Die Ausfertigung erfolgt bei den Schuldverschreibungen durch eigenhändige Unterzeichnung des Vermerks ‚„Ausgefertigt“ seitens des damit beauftragten Beamten, bei Zinsscheinen und Erneuerungsscheinen durch Aufdruck eines den Reichsadler enthaltenden Trockenstempels.
§ 5.
Die Tilgung der Anleibe geschieht in der Weise, daß die durch den Haushaltsplan dazu bestimmten Mittel jum Ankauf einer ent⸗ sprechenden Anzabl von Schuldverschreibungen verwendet werden.
Die duich besondere Gesetze angeordnete Verminderung der Schuld durch Absetzung vom Anleihesoll ist einer Tilgung gleichzuachten.
§ 6.
Dem Reich bleibt das Recht vorbehalten, die im Umlauf befind- lichen Schuldverschreibungen inegesammt oder in angemessenen Theil⸗ beträgen zur Einlösung gegen Baarzahlung des Nennbetrags binnen einer gesetzlich festzusetzenden Frist zu kündigen.
Den Inhabern der Schuldverschreibungen steht ein Kündigunga⸗ recht gegen das Reich nicht zu.
5 7.
Die Bestimmung darüber, ju welcher Zeit und in welchen Be⸗ trägen Schatzanweisungen ausgegeben werden sellen, steht dem Reichs⸗ kanzler zu. Das Gleiche gilt von der Bestimmung des Zinssatzes und der a nere der Fälligkeitstermin ist in den Schaßanweisungen anzugeben.
Innerhalb der Umlaufzeit kann nach Anordnung deg Reiche⸗ kanzlers der Betrag der Schatzanweisungen wiederholt, jedoch nur zur de. der in den Verkehr gelangten Schatzanweisungen ausgegeben werden.
Die Umlaufszeit der zur vorübergebenden Verstärkung der ordent⸗ lichen Betriebsmittel der Reichs⸗Hauptkasse bestimmten Schatzanwei⸗ fungen darf den Zeitraum von sechs Monaten nach dem Ablaufe des betreffenden Rechnungsjahres nicht überschreiten.
Die Schatzanweisungen werden von der Reichs ⸗ Schulden verwal. tung ausgestellt; auf die Ausfertigung finden die Vorschriften des F 4 Anwendung. Die Ausgabe der Schatzanweisungen wird durch die Reichs kasse bewirk?
§ 8.
Die für die Verzinsung und Tilgung der Anleihe sowie für die Verzinsung und Einlösung der Schatzanweisungen erforderlichen Be⸗ träge müssen der Reichsschulden⸗Verwaltung zur Verfallzeit aus den bereitesten Einkänften des Reichs zur Verfügung gestellt werden.
Welche Tbeile der Anleihe getilgt werden sollen, bestimmt in Er⸗ mangelung besonderer gesetzlicher Vorschriften der Reichskanzler.
§ 8.
Die Verwaltung der Reichs ⸗ Anleihe verbleibt bis auf weiteres der preußischen Hauptverwaltung der Staatsschulden unter der Be⸗ zeichnung Reichsschulden · Verwaltung“. Für die Verwaltung sind die Vorschriften des preußischen Gesetzes vom 24. Februar 1850 (Gesetz⸗ Samml. S. 57) maßgebend. Die sich aus § 6 des genannten Ge⸗ setzes ergebende unbedingte Verantwortlichkeit der Reichsschulden⸗ Ver⸗ waltung erstreckt sich auch darauf, daß eine Umwandlung der Schuld⸗ verschrelbungen nur auf Grund eines sie anordnenden oder zulassenden Gesetzes und nach Bewilligung der erforderlichen Mittel vorge⸗ nommen wird.
5190.
Die obere Leitung steht dem Reichskanzler zu, soweit dies mit
der der Reiche schulden Verwaltung beigelegten Unabhängigkeit vereinbar ist. *
8
Der Präsident und die Mitglieder der Preußischen Hauptverwal⸗ tung der Staatsschulden haben zu Protokoll zu erklären, daß sie den von ihnen gemäß z 9 des preußischen Gesetzes vom 24. Februar 1850 und § 1 des preußischen Gesetzes vom 29. Januar 1879 (Gesttz˖ Samml. S. 10) geleisteten Eid auch für die durch bundes, oder reichẽ⸗ gesetzliche Bestimmungen ihnen übertragene Verwaltung der Reichs- schulden als maßgebend anerkennen. ͤ
Das Protokoll ist dem Bundetrath und dem Reichstage vor⸗
ulegen. zuleg 12
§ 12.
Die Geschäfte der im 5 1 des preußischen Gesetzes vom 24. Fe⸗ bruar 1850 bejeichneten Staatsschulden⸗Kommission werden von einer Reichsschulden⸗Kommission wahrgenommen. 2
Die ReichsschuldenKommisston besteht aus sechs Bevollmächtigten oder stellvertretenden Bevollmächtigten zum Bundesrath, und zwar aus dem jedesmaligen Vorsitzenden des Ausschusses für das Rech⸗ nungtwesen oder einem Stellvertreter des Vorsitzenden und fünf Mit- gliedern des Ausschusses, sowie aus sechs Mitgliedern des Reichstages und bis zur Errichtung einer eigenen Rechnungsbehörde für das Reich aus dem Chef⸗Präsidenten der preußischen Ober ⸗Rechnungs kammer in seiner gleichzeitigen Eigenschaft als Chef ⸗Präsident des Rechnungshofs für das Deutsche Reich; der Chef ⸗Präsident ist für die durch dieses Gesetz ihm vorläufig übertragenen Verpflichtungen besonders m beeidigen.
513.
Der Bundesrath wählt alljahrlich aus den Mitgliedern des Aus schusses für das Rechnungs wesen die der Reichs schuldenkommission binzu⸗ tretenden Mitglieder. Die aus dem Reichstage zu ernennenden Mit⸗- glieder der Kommission werden mit Stimmenmehrheit für die Dauer der Legislaturperiode gewählt. — .
Scheidet vor dem Ablauf der im Abs. 1 bestimmten Fristen ein Mitglied der Kommission aus dem Bundesrath oder dem Reichstage aus, so endigt damit auch seine Mitgliedschaft in der Kommission.
Die Verpflichtung der nach Abs. 1, 7 ausscheidenden Mitglieder 2 jedoch erst mit dem Eintritt ihrer Nachfolger in die Kom mission. .
§ 14.
Den Vorsitz in der Kommission führt der Vorsitzende des Aus⸗ schusses des Buͤndesraths für das Rechnungswesen oder sein Stell- vertreter, im Falle ihrer Verhinderung ein anderes dem Bundes rath angehörendes Mitglied der K‚ommission.
Die Beschluüsse der Kommission werden nach Stimmenmehrheit efaßt. 6 M m n,, entscheidet die Stimme des Vor⸗
den. * einem Beschluß ist die Anwesenheit ven mindestens fünf Mit. gliedern erforderlich. *
§ 15.
Die Reichsschulden Kommissien bat dem Bundesrath und dem Reichstage gegenüber dieselben Verpflichtungen. welche der preußischen Staatsschulden Kommifsion den beiden Häusern des preußischen Land⸗ tages gegenüber obliegen.
§ 18. Wird der Reichsschulden⸗Verwaltung der Verlust einer Schuld. verschreibung oder Schatzanweisung von dem bisherigen Inhaber mit
der Bebauptung angezeigt, daß die Schuldzurkunde vernichtet sei, so.
bat ihm auf seinen , die Reichsschulden Verwaltung eine neue Schuldrerschreibung oder Schatzanweisung zu ertheilen, falls sie die Vernichtung der Urkunde für nachgewiesen erachtet. Die Kosten hat der bisherige Inbaber zu tragen und vorzuschießen. .
Ist ein Jinsschein abhanden gekommen oder vernichtet, so ist der im § 804 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmte Anspruch ausgeschlossen, ohne daß es der Ausschließung in dem Scheine bedarf.
Behauptet der bisherige Inhaber eines Zinsscheins, daß der Schein vernichtet sei, so finden die Vorschriften des Abs. 1 An⸗ wendung. . 81
Für das Aufgebots verfahren zum Zwecke der Kraftloserklärung einer auf den Inbaber lautenden Schuldverschreihung oder Schatz. anweisung ist , . Amtegericht ausschließ lich zuständig, in dessen Bezirk die Her ,. den Verwaltung ihren Sitz hat.
Durch Anordnung des Reichskanzlers kann die Anwendung der Vorschrift des Abs. J für einzelne Theile der Anleihe im voraus ausgeschlessen werden. Ueber die Ausführung einer solchen Anordnung hat der Reichekanzler dem Reichstage, wenn dieser versammelt ißt, sofort, anderenfalls bei dessen nächster Zufammenkunft Rechenschaft
abzulegen. 32 zs.
Soll eine Schuldverschreibung oder Schatzanweisung für kraftlos erklärt werden, so muß die öffentliche Bekanntmachung des Aufgebotz und des Ausschlußurtbeils, unbeschadet der Vorschriften der S5 1009, 1617 der Ziwilprozeßordnung, auch, durch einmalige Einrückung in eine in Hamburg, eine in Leipzig, eine in Frankfurt a. M. und eine in München erscheinende Zeitung erfolgen die Bestimmung und die Veröffentlichung dieser Zeitungen im „Deutschen Reichs ⸗Anzeiger“ sind jährlich durch den Reichskanzler zu veranlassen.
§ 19. Die Reichsschulden Verwaltung hat jährlich amtliche Listen der im abgelaufenen , für kraftlos erklärten Schuld⸗ verschrelbungen und Schatzanweisungen durch den ‚Deutschen Reichs⸗ Anzeiger und die im § 18 bezeichneten Blätter sowie durch Aushang auf der Börse in Berlin und den Börsen der im § 18 bezeichneten Drte zu veröffentlichen. r Die Reichsschulden Verwaltung kann noch andere Veröffentlichungen veranlassen. 8 o
Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Januar 1900 in Kraft. Der 5§z 6 des Gesetzes vom 9. November 1867 (Bundes⸗Gesetzbl. S. 157) und das Gesetz vom 12. Mai 1873 (Reichs. Gesetzbl. S. 91), sowie der 5 3 des Gesetzes vom 23. Februar 1876 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 24) treten außer Kraft. .
Im 5 16 Abs. 2 des Bankgesetzes vom 14. März 1875 (Reichs⸗ Gesetzbl. S. 177) werden die Worte: „welcher zu diesem Zwecke ein vom Kaiser ernanntes Mitglied hiniutritt“ gestrichen. ;
Die nach Maßgabe des § 3 des Gesetzes vom 23. Februar 1876 gewählten Mitglieder der Reichsschulden⸗Rommission, sowie das auf Grund des § 16 des Gesetzes vom 14. März 1875 vom Kaiser er⸗ nannte Mitglied werden für die Zeit, für welche sie gewählt oder er nannt sind, vollberechtigte Mitglieder der Kommission.
§ 21.
Von dem Inkrafttreten dieses Gesetzes an gelten für die vorher ausgestellten, auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen, Zins—⸗ scheine und Schatzanweisungen die Vorschriften er 55 788 bis 800, S802, 805 und des 5 806 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Aufgebotsverfahren zum Zwecke der Kraftlosertlärung einer abhanden gekommenen oder ver- n Urkunde sowie die Vorschriften der S§ 17 bis 19 dieses
esetzes.
Die Verjährung der Ansprüche aus den vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ausgestellten Inbaberpapieren der im Abs. I bezeichneten Art bestimmt sich, unbeschadet der Vorschriften des 5 802 des Bürger⸗ lichen Gesetzbuchs, nach den bisherigen Gesetzen.
Den vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ausgestellten Schuld verschreibungen, Zinsscheinen und Schatzanweisungen stehen diejenigen Schuldverschreibungen, Zinsscheine und Schatzanweisungen gleich, welche nach dieser Zeit auf Grund einer früheren geseßlichen Er⸗ mächtigung ausgegeben werden.
§ 22.
Ein vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes anbängiges gerichtliches Aufgebotsverfahren zum Zwecke der Kraftloserklärung einer der im 8 21 Abs. 1 bezeichneten Schuldverschreibungen und Schatzanweisungen ist nach den bisberigen Gesetzen zu erledigen. Nach kiesen Gesetzen n een sich auch die Wirkungen des Verfahrens und der Ent.
eidung.
Ferner ist dem Reichstage folgender Entwurf eines Gesetzes wegen Verwendung von Mitteln des Reichs— Invaliden fon ds porgelegt worden:
§1.
Die im Artikel J des Gesetzes vom 22. Mai 1895 (Reichs⸗ Gesetzbl. S. 237) vorgesehene Beschränkung der Verwendung von Mitteln des Reichs- Invalidenfonds für die daselbst bezeichneten Zwecke auf die Zinsen des entbehrlichen Aktivbestandes wird auf— gehoben. 82
Für das Rechnung jabr 1899 wird der Ausgabebedarf des Reichs⸗ Invalidenfonds zu Unterstützungen für nicht anerkannte Invalide (Artikel 1 2. Artikel II 2 und Absatz 2 des Gesetzes vom 22. Mai 1895) auf Eine Million und Einhunderttausend Maik, zu Beihilfen an bedürftige ehemalige Kriegstheilnehmer (Artikel 1 3, Artikel 113 und Absatz 2 a. a. O.) auf vier Millionen und Achtzigtausend Mark anderweit fesigesetzt.
§ 3.
Aus den Mitteln des Reichs- Invalidenfonds werden vom 1. April 1899 ab ferner Beträge zur Verfügung gestellt, um im Falle und für die Dauer des Bedürfnisses Wittwen und Kindern der im Kriege gefallenen oder infolge des Krieges gestorbenen Militärpersonen neben den gesetzlichen Bejügen (55 41, 42 Abs. 1, 43 bis 45, 56, gé, 25, 97 des Militärpensionsgesetzes vom 27. Juni 1871, Reichs⸗ Gesetzbl. S. 275, 5§ 3 und 4 des Gesetzes vom 14. Januar 1854, Reichs ⸗Gesetzbl. S. 107) Zuschüsse gewähren zu können.
§ 4.
Für das Rechnungejahr 1899 wird der Ausgabebeda:rf des Reichs Invalidenfonds zu den im § 3 bezeichneten Zuschüssen auf Secht⸗ hunderttausend Mark festzesetzt.
Hiervon werden überwiesen
1) Preußen... 2) Sachsen .. 3) Württemberg k . 9P5ꝝ der Kaiserlichen Marine 67. Für die spätere Zeit erfolgt die Festsetzung der jeweils erforder- lichen Bedarsssummen und deren Vertheilung auf die einzelnen Kon tingente durch den Reichshaus halts. Etat.
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*
S5. Die im § 3 bezeichneten Zuschüsse unterliegen nicht der Beschlag⸗ nahme. Ihre Bewilligung erfolgt unter feln 3. e Tg, durch die Militärbehörden.
Literatur.
Ole yr gzische Staats anwaltichaft. Aus Anlgß ibres 50 jährigen Bestehens als bistorischkritische Studie nach amt= lichen Quellen bearbeitet von Dr. Otto, Juftiz-⸗Rath. II0 S. Berlin, Verlag von J. Guttentag — Am 1. April d. J. waren 30 Jahre verflossen. seitdem die preußische Staatsanwaltschaft in Wirk⸗ samteit getreten ist, ein Zeitraum, lang genug, um einer solchen Institution die mannigfachsten Wandlungen ju bringen, sodaß man nach seinem Ablauf angeregt wird, die Vergangenheit noch ein mal ju überblicken und den dadurch hervorgebrachten Zustand der Dinge ju prüfen und zu beurtbeilen. Dies ist auch der Anlaß zu der vor⸗ liegenden Studie gewesen, die einen früberen Staattanwalt beim biesigen Landgericht zum Verfafser bat und in ihrem nach amtlichen Quellen bearbeiteten historischen Theile vieles bisher unbekannte Material enthält. Es wird darin zunächst gezeigt, wie die Institution der Staatsanwaltschaft aus Frankreich, wo ste (ministèrs public genannt) sich vom ersten Keim bis zur vollkommensten Stufe ent— wickelt bat, wo der Staatsanwalt als berufener Wächter der Gesetze, als Aufsichtsbehörde kraft einer von der böchsten Justizverwaltungs⸗ spitze direkt abgeleiteten Vollmacht dag , . Justizwesen zu überwachen, also nicht nur im trafprozeß, sondern auch im ivilprozeß mitzuwirken hat, auf dem Wege durch die Rheinlande ju uns gekommen und wie sich daz Gebiet ihrer Thätigkeit auf diesem Wege allmählich völlig veränderte. Staatsanwälte. gab es in Preußen schon seit dem Jahre 1844. aber nicht solche im heutigen Sinne des Worts. Die Verordnung über das Verfahren in Ebesachen vom 28. Juni 1844 führte sie ein zu dem Zweck, daß in Ehescheidungssachen ein Staatsanwalt als defensor matrimonii zugejogen werden oller. Seine Thätigkeit blieb aber bis zum 1. April 1849 hierauf beschränkt. Die ersten Erwägungen und Verhandlungen über die Errichtung einer Staatzanwaltschaft als Anklagebehörde in der . Monarchie datieren bis in das Jahr 1845 jurück und batten ihren Grund vornehmlich in einer tiefen Mißstimmung über die Rechtsprechung der damaligen Strafgerichte, besonders der Cinzelrichter. Dieses Miß trauen erregte auch die Aufmerksamkeit der Staatsregierung und ver anlaßte namentlich die beiden damals gleichzeitig amtierenden Justiz⸗ Minister on Mübler und von Savigny, von denen der letztere ju⸗ Laich „Minister der Gesetzes Revision war, Stellung zu nehmen.
s ist von Interesse, in dem oben genannten Buche die Ver⸗ bandlungen zwischen den betheiligten Justiz. Ministern zu verfolgen, die ibr vorläufiges Ende fanden, als das Staats. Ministerium ana 23. Dezember 1845 mit allen Stimmen gegen die der Justij-⸗Minister den Plan der Einführung der Staatsanwaltschaft in der vorgeschla— genen Weise ablehnte. Eg mehrten sich indessen die Klagen über sach= widrige Erkenntnisse der Strafgerichte. Die Präsidenten der Gerichts. höfe fühlten sich veranlaßt, solche dem JustizMinisterium einzureichen, und in diesem kam immer mehr die Ueberzeugung zum Durchbruch, daß gegen solche Vorfälle nur die Einführung der Staatsanwaltschaft und ein in deren Hände gelegtes, dem Staate zuftehendes Rechtsmittel Abhilfe schaffen könne. In folge dessen legten die Justij⸗Minister in einem gemeinschaftlichen Promemoria vom 23. März 1846 noch einmal dem Staats. Ministerium ihre ganze Stellungnahme zu der Frage dar und widerlegten die Gründe, welche dasselbe zu seiner ablebnenden Haltung bestimmt hatten, daß nämlich „das Institut in der ihm vindizierten breiten Basis mit der in den alten Provinzen bestehenden Gerichts- und Polizei⸗Verfassung nicht vereinbar sei, mithin nicht nur nicht einem Zweck entsprechen, sondern auch in die Funktionen der
olizei überhaupt, und bei politischen Umtrieben insbesondere, böchst störend und lähmend eingreifen würde, und daß der bedeutende Kostenaufwand für, die beabsichtigte Einrlchtung mit dem möglichen Erfolge in keinem Verhältnisse stehen möchte.“ Ungefähr um dieselbe Zeit ging von anderer Seite die Anregung aus, zunächst — gewissermaßen zur Probe — in Betreff der bei dem Kammergericht und dem Kriminalgericht zu Berlin zu führenden Kriminaluntersuchungen eine Neuregelung des Verfahrens ein⸗ treten zu lassen und hierbei auch die Einführung einer Staats anwaltschaft vorzusehen. Die Veranlassung hierju war der im Jahre 1846 beabsichtigte Polenaufstand, infolge dessen eine große Anzahl von Personen wegen Staatsverbrechen in Untersuchung und Haft geriethen. Der Prozeß gehörte zum Forum des Kammer- gerichts. Wäre er nach den Bestimmungen der alten Kriminal⸗ ordnung und den Grundsätzen des geheimen und schrifstlichen Inquisitionz- prozesses geführt worden, so war vorauszusehen, daß er jahrelang dauern werde. Das öffentliche Interesse erheischte aber eine möglichst rasche Aburtheilung. Daher befahl der König Friedrich Wilbelm 15. die schleunige. Ausarbeitung eines die Oeffenilichkeit und die Mündlichkeit in Untersuchunggsachen einführenden Gesetzes für den genannten geographischen Bezirk., und schon am 1. Ok- tober 1846 trat das „Gesetz, betreffend das Verfahren in den bei dem Kammergericht und dem Kriminalgericht zu Berlin zu führenden Untersuchungen, vom 17. Juli 1846. in Kraft. Dasselbe führte ein mündliches Verfahen vor dem erkennenden Ge— richt ein, bei welchem der Staatsanwalt und der Angeklagte zu bören sei, ferner unter Ausschließung von Zwangsmitteln eine einigermaßen freie Beweiswürdigung, für Staatsanwalt und Angeklagten eine Appellation gegen die Erkenntnisse erster Instanz und schließlich, falls die Entscheidung der jweiten Instanz von derjenigen der ersten ab— weicht, eine Repision für den Angeklagten, soweit das Urtbeil zu seinem Nachtheil, für den Staatsanwalt, wenn es zu Gunsten dez Angeklagten abgeändert wsrden ist. Trotz seiner Mängel machte man mit diesem Gesetze keine üblen Erfahrungen. Seine Beliebtheit wuchs, und so erließ denn der König Anfang Januar 1849 auf Grund der von ihm oktrovierten. Perfaffung vom 5. Dezember 1848, welche auch Oeffentlichkeit sowie Mündlichkeit im Strafprozeß und ein Ge⸗ schworenengericht verhieß, die beiden am 1. Aprib 18489 in Kraft ge⸗ tretenen inhaltreichen Verordnungen, welche die Grundlage unseres gesammten Strafverfahrens werden sollten und auch für den ganzen Umfang der Monarchie mit Ausnahme der Rheinlande, in denen man es bei den aus dem französischen Recht überkommenen Einrichtungen beließ, die Instiiution der Staatsanwahschaft einführten. Als nach dem Kriege von 1866 dem preußischen Staat neue Landestheile zugeführt wurden, machte man 1867 im Verordnungswege für diese neuen Gebiete den Versuch, der Staatsanwaltschaft auch die Strafvollstreckung zu übertragen, und bei der Instiz-Reorganisation von 1879 ist dann diese Neuerung sür das ganze Gebiet der Monarchie eingeführt worden. — Nach dem ge— schichtlichen Rückblick geht der Verfasser des genannten Werkes in einem Schlußkapitel jur Widerlegung der Angriffe über, welche die Staatzanwaltschast in einer Zahl und Heftigkeit, wie wohl kaum jemals eine Institution, seit Jahrzehnten erfahren hat. Er weist nach, daß sich die preußische Staatsanwaltschaft in den 50 Jahren ihres Bestehens ausgezeichnet bewährt hat, und erstrebt noch eine Ausdehnung ihrer Befugnisse, indem er die gesammte Aufsicht und Verwaltung über alle Gefängnisse und Strafanstalten für die Justiz und für die Staatganwaltschaft in Anspruch nimmt, wogegen er die letztere von allen Anhängseln ihres Wirkungskreise, die außerhalb des Strafprozesses liegen, wie der Theilnahme an Ghe⸗ und Entmündigungssachen und an dem Disziplinarverfahren gegen Justizbeamte, befreit zu seben wünscht. — Otto Lueger's Lexikon der gesammten Technik und hrer Hilfswissenschaften. Im Verein mit Fachgenossen heraus⸗ gegeben. Mit zahlreichen Abbildungen. Stuttgart, Deutsche Ver⸗ lags⸗Anstalt. Sieben Bände in Halbfranzband, Pr je 30 Æ — Mit dem jetzt abgeschlossenen, besonders umfangreichen siebenten Bande
ist das Werk in dem relativ kurzen Zeitraum von fünf Jahren zu
Ende gebracht worden. Ermöglicht wurde dieses Resultat nur durch die Vertheilung der Arbeit auf über hundert Autoren, die ihrer Auf⸗ gabe bis zum Schluß treu geblieben sind; nur auf wenigen Gebieten ist ein Wechsel in der Person des Berfassers zu bemerken, der theilweise leider auch durch Todesfälle veranlaßt wurde. Das Programm des Lexikons: „möglichft umfassende Trennung des Stoffs durch Behandlung unter bekannten, allgemein gebrauchten Einzelstichörtern, knappe, aber klare Darstellung der Worthegriffe und Vollständigkeit der Wortesammlung im Gebiet der Technik und ihrer Hilfswissenschaften ift im allgemeinen eingehalten worden. Die Einjelbehandlung unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von Werken äbnlicher Art. Die Kürze wurde nicht erreicht auf Kosten der Wissenschaftlichkeit; im Gegentheil ist überall, wo es der Gegenstand erforderte, die mathematische Behandlung an Stelle der bloßen Beschreibung getreten, welche letztere man auch in den populären Encyklovpã dien sindet, wozu es also eines neuen Werks nicht bedurft hätte. Ergänzend treten hinju zahlreiche Literaturnachweise, die in jeder Spezialität ein eingehendes Studium ermöglichen und das Werk zu einem Kompendium machen, das der Lösung jeder tech—⸗ nischen Aufgabe rasche und gründliche Unterstützung bietet. In Bezug auf die räumliche Ausdehnung, die durch den Zwang bei der Ein⸗ haltung eines bestimmten Umfangs obne Einschränkung des gesammten Stoffs für ein lexikalisches Werk bedingt war, will es scheinen, als sei manchen Artikeln, wie „Elektro⸗ metallurgie ', „Photographie, Wasserversorgung', „Wirkerei' 2c. zu wenig, andern, wie Bedürfnißanstalten', Bodenphysik“, den geodaͤtischen Artikeln ꝛc., zu viel Raum zugetheilt worden; auch ist die Architektur nicht so umfassend behandelt wie jum Beispiei die Ingenieurwissenschaften. Diese kleinen Beanstandungen können aber den Werth des Lexikons in keiner Weise beeinträchtigen, denn das Werk bält im übrigen, bezüglich des Umfangs, der Wissenschaftlichkeit des Inhalts und der sorgfältigen typograpbischen Ausstattung alles, was beim Beginn versprochen wurde. Bei der großartigen Ent— wickelung der Technik in der Neuzeit entspricht das Lexikon einem wirklichen Bedürfniß und ist wobl geeignet, ein umfassendes Bild von dem Stande der technischen Wissenschaften am Ende dieses Jahr—= hunderts der Nachwelt zu überliefern. Das Werk verdient daher zunächst in den Kreisen der Techniker, besonders der Studierenden, gebührende Beachtung; aber auch Verwaltungsbeamten, die sich über i , Einzelfragen informieren wollen, dürfte dasselbe von utzen sein.
In Berbindung mit der bekannten illustrierten Zeitschrift „Sport im Bild“ (Verlag und Expedition: Berlin W., Kurfürften- damm 239) erscheint von jetzt ab ein Beiblatt Sport im Wort é). Während in dem , . Theil der Zeitschrift speziell Illustrationen aus allen Gebieten des Sports mit den dazu gehörigen Artikeln sowie interessante Aufsätze und Erzählungen dargeboten werden, soll - Sport im Wort“ vornehmlich über die aktuellen Sportereignisse berichten, Vorbesprechungen über die kommenden Greignisse bringen und durch Notijen aller Art jedem Sportliebbaber mit den beften und neuesten Informationen zur Seite steben. Sport im Wort“ erscheint auch als getrennte Zeitung für sich (Einzelnummer 106 3 Abonnement pro Quartal 1,50 MS), die über alles Wissenswerthe auf den berschiedenen Gebieten des Sports schnell und genau informiert. Der Bezugspreis der Zeitschrift nebst Beiblatt beträgt vierteljährlich 4 , die einzelne Nummer kostet 35 .
Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.
Das Exlöschen der Maul., und Klauenseuche ist dem Kaiserlichen Gesundheitsamt gemeldet worden vom Viehhofe zu Metz am 5. Mai, der Ausbruch der Maul⸗ und Klauenseuche vom Viehhofe zu Sachsenhausen an demselben Tage; der betreffende Transport wird abgeschlachtet werden.]
Nach der im Kaiserlichen Gesundheitsamt bearbeiteten Statisti über die Verbreitung von Thierseuchen im Deutschen Reich während des 4. Vierteliahrs 1898 ist die Maul- und Klauenseuche in 15973 Gehöften (gegen 9425 im 3. Vierteljahr 1898) mit einem Gesammtbestand von 160 243 Rindern gegen 82134 im 3. Vierteljahr, 49 673 Schafen gegen 39 453 im ö 1LC911 Ziegen gegen 1475 im z 40 114 Schweinen gegen 19007 im z zusammen 241 941 Thieren gegen 142069 im 3. Vierteljahr 1898 ausgebrochen. Die Ausbrüche vertheilen sich auf 12 Staaten gegen 19 im 3. Vierteljahr 1898, 72 Regierungs. ꝛc. Bezirke gegen 64 im , ö 551 Kreise ꝛc. gegen 373 im ö 2927 Gemeinden re. gegen 140 im . . Gegenüber dem 3. Vierteljahr 1898 hat die Seuche erbeblich zu . genommen. Die größte räumliche Verbreitung nach der Zahl der betroffenen Gemeinden erlangte die Seuche in den Regierungg. ꝛc. Bezirken Kohlenz, Düsseldorf, Köln. Trier, Aachen, Oberbayern, 1 Oberpfalz, Schwaben, im Neckar,, Schwarzwald, und Jagst⸗ reise. Am Schlusse des 4. Vierteljahrs 1898 herrschte die Seuche in 17 Staaten gegen 17 bei Beginn, 68 Regierungs. ꝛc. Bezirken 61 . : 395 Kreisen ꝛc. ö 2198 . ? 1472 Gemeinden w è66 4955 Gehöften 6. . Gegenüber dem Stand der Seuche bei Beginn des 4. Vierteljahrs 1898 ergiebt sich eine Zunahme der verseuchten Kreise um S0 5½, der verseuchten Gemeinden um 107 0,09, während die Zahl der betroffenen Gehöfte annähernd dieselbe geblieben ist. Verhältniß⸗ mäßig am stärksten verbreitet war die Seuche um diese Zeit im Neckar und Schwarzwaldkreise, in welchen je 27,8 oo aller in diesen Belirken vorhandenen Gemeinden verseucht waren; ferner im Jagst« löeise (16, C0), in den Regierung 2c. Bezirken Schwaben (13,5 oso), Düsseldorf (13,5 Co), Rheinhessen (12,9 ), Pfalz (12,4 0½0), Köln (11,5 0 o), Donaukreis (10,50 /o), Aachen, Karlsruhe (ie 8,5 ,ι).
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Nach weisung
über den Stand von Thierseuchen im Deutschen Reich am 30. April 89g.
(Nach den Berichten der beamteten Thierärzte zusammengestellt im Kaiserlichen Gesundheitsamt.)
Nachstehend sind die Namen , , Kreise (Amts ꝛc. Bezirke) verzeichnet, in welchen Rotz, Maul- und Klauenseuche, Lungenseuche oder Schweineseuche (einschl. Schweinepest) am 30. April berrschten. Die Zahlen der betroffenen Gemeinden und Gehöfte sind — letztere in Klammern — bei jedem Kreise vermerkt; sie wre alle wegen vorhandener Seuchenfälle oder auch nur wegen Seuchenverdachts gesperrten Gehöfte, in welchen die Seuche nach den geltenden Vorschriften noch nicht für erloschen erklärt werden konnte.
Rotz (Wurm). Preußen. Stadthreis Berlin 1 (4). Reg.-Bez. Potsdam: Potadam Stadt 1 (1), Spandau Stadt 1 (3). Reg.-Bez. Frank⸗ fart. Zifflch au- Schÿwhiebß. 3 (67. eg. Bez. ofen. Wreschen 161. Schrimm 1 ¶ I). Reg. Bej. Brom berg: Inowrazlaw 2 (2), Witkowo 3 (3). Reg. Bez. Breslau: Breslau Stadt 1 (1). Reg.-Bez. Liegnitz; Sagan 1 (I), Hoyers⸗ werda 1 (I). Reg. Bej. Oppeln: Kattowitz 1 (1. Reg. Bez. Merseburg: Merseburg 1 (1). Reg.-Bez. Stade: Neuhaus a. O. 1L1). Reg. Bez. Arnsberg: Meschede 1 (1). Sachsen. Kreis- hauptmannsch. Bautzen: Bautzen 1 (I). Württemberg. Jagst⸗ kreis: Neresheim 2 (2). Bonaukreis: Ehingen 1 (1), kik 11). Elsaß ˖ Lothringen. Bezirk Unter ⸗Glsaß: Schlettstadt 1 (1).
Zusammen: 26 Gemeinden und 33 Gehöfte.